Tibetanische Sprache

[586] Tibetanische Sprache, steht auf der Grenze der einsylbigen Sprachen Hinterindiens; die Schrift ist aus dem indischen Dewanagari entstanden; es gibt eine Quadrat- (Dvoudjan) u. eine Cursivschrift (Dvoumin). Als Sylbenschrift ist sie reich an Zeichen, die vielen stummen Buchstaben erschweren die Aussprache, dienen aber zur Unterscheidung gleichlautender Wörter u. dadurch zum bessern Verständniß. Das einfache Alphabet besteht aus 30 Consonanten; die Vocale werden durch Striche über od. unter der Linie angedeutet. Das Tibetanische wird in horizontalen Linien von der Linken zur Rechten geschrieben. Die Sylben werden durch Punkte von einander getrennt. Ableitung u. Beugung wird in der Regel nicht an der Wurzelsylbe selbst, sondern durch Zusetzung von Vor- u. Nachsylben bewirkt; doch gibt es Wörter, welche einfache Begriffe ausdrücken u. doch mehrsylbig sind, z.B.: karma Stern, ghia-mtso Meer, guin-mo Tag, tsan-mo Nacht etc. Die meisten sind jedoch einsylbig, wie nam Himmel, loung Wind, brin Wolke, sa Erde etc. Substantiva werden häufig durch die Sylben ba, va, bo, mo, vo gebildet, z.B. da-ba Mond, tchhar-pa Regen, brang-bo Dieb, bhou-mo Tochter, phou-vo älterer Bruder, non-vo jüngerer Bruder. Der Genitiv wird durch i (gi, khyi) gebildet: sai der Erde, loung-gi des Windes; er steht stets vor seinem Nominativ. Der Dativ wird durch das Suffix la, der Ablativ durch nes od. les bezeichnet. Der Accusativ hat kein besonderes Zeichen, er steht stets vor dem Verbum u. ist durch seine Stellung erkennbar. Der Plural wird selten bezeichnet; zuweilen geschieht es durch Wörter wie tham-tche alle, tha-ded jeder, koun mehre, welche dem Substantiv gewöhnlich nachgesetzt werden. Die Adjectiva endigen meist in ba, bo, bha, z.B. bhol-ba weich, ghan-bo alt, kar-bo weiß, tchhoung-bha klein, gnen-nesba enthaltsam (von gnen-nes, Enthaltsamkeit). Diejenigen, welche eine Fähigkeit, ein Begabtsein ausdrücken, werden durch das Suffix dou gebildet. Den Comparativ bezeichnet die an die Stelle der Ableitungssylben tretende Sylbe cho, den Superlativ das Präfix tchhes: tchhoung-cho kleiner, tchhes-tchhoung-bha, der kleinste. Das Adjectiv steht meist nach dem Substantiv. Die Zahlwörter 1 gtschig, 2 gñis, 3 gsum, 4 bschi, 5 lnga, 6 drug, 7 bdun, 8 brdschad, 9 dgu, 10 btschu sie stehen gleichfalls nach dem Substantiv. Die Pronomina sind unregelmäßig: ngè ich, nga-rang-gi mein, ngè-rang wir, nges-yin unser etc. Viele Verba bestehen nur aus Wurzelsylben, ong kommen, chei wissen, tchia lachen, dhrô gehen; andere werden durch die Nachsetzung von djed od. ghiab thun, yin, sein, gebildet: rog-djed helfen, ar-bo-ghiab bauen, ned-ba-yin krank sein; andere Verbalendungen sind tong, thong, doung, song. Eine eigentliche Flexion der Verba findet nicht Statt, doch bilden einige Verba ihre Tempora durch eine Art Präfixe, zuweilen von einer Modification des Anfangsconsonanten u. des Wurzelvokals begleitet. Die Personen u. Zahlen ändern nichts daran; die Tempora u. Modi werden durch Partikeln u. Hülfsverba gebildet. In der Construction hat die T. S. viele Ähnlichkeit mit der chinesischen. Vgl. Georgi, Alphabetum Tibetanum, Rom 1762; Grammatiken von Csoma de Körös, Calcutta 1834; von Schmidt, Petersb. 1839; von Foucaux, Par. 1858; vergleichend hat Schiefner die T. S. behandelt in den Tibetischen Studien, Petersb. 1851; Wörterbücher von Schröter, Serampore 1826; von Csoma de Körös, Calcutta 1834; von Schmidt, Petersb. 1841.

Die Tibetanische Literatur besitzt historische, dichterische u. erzählende Schriften, hauptsächlich aber ist sie religiös u. besteht in dieser Partie, mit Ausnahme weniger Originalschriften, in Übersetzungen aus dem Sanskrit, indem seit der Einführung des Buddhismus im 7. Jahrh. die buddhistischen Schriften ins Tibetanische übertragen wurden. Diese sämmtlichen Religionsschriften sind in zwei großen Sammlungen enthalten. Die erstere dieser Sammlungen, Bhak-gyour, d.h. Übersetzung der Gebote Buddhas, erschien gedruckt Snarthang 1728–46, 100 Bde., Fol., u. enthält in 7 Abth. Abhandlungen über Klosterdisciplin, [586] Metaphysik u. mystische Theologie, Legenden u. moralische Erzählungen; daraus in Europa herausgegeben: Vadschra-Tschedika, von Schmidt mit deutscher Übersetzung, Petersb. 1837; Rgya Tch'er Rol Pa, Geschichte Dschakdschamuni's, von Foucaux, mit französischer Übersetzung Par. 1847–49, 2 Bde. (eine andere Lebensbeschreibung desselben gab im Auszug Schiefner, Petersb. 1849, heraus); Dsanglun, d.h. der Weise u. der Thor, eine Sammlung Legenden u. Erzählungen, herausgeg. mit deutscher Übersetzung von Schmidt, Petersb. 1843, 2 Bde.; dazu Ergänzungen von Schiefner, ebd. 1852; Mahajanasutra, herausgeg. von Schilling von Canstadt, Petersb. 1845. Die zweite Sammlung heißt Bstan-hgyour, d.i. Übersetzung von Lehrschriften, gedruckt Snarthang, u. enthält in 225 Bdn. u. 3 Abth. Hymnen u. liturgische Schriften, Abhandlungen über Philosophie, Theologie, redende Künste, Astronomie, Astrologie, Ethik, Medicin etc. Eine Sammlung tibetanischer Schriften besitzt das Asiatische Museum der kaiseruchen Akademie der Wissenschaften in Petersburg, welche verzeichnet sind von Schmidt u. Böhtlingk, Petersb. 1847 (welche seitdem sehr vermehrt worden ist).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 17. Altenburg 1863, S. 586-587.
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