Symphonie

Symphonie. (Musik)

Ein vielstimmiges Instrumentalstük, das anstatt der abgekommenen Ouvertüren gebraucht wird. Die Schwierigkeit eine Ouvertüre gut vorzutragen, und die noch größere Schwierigkeit eine gute Ouvertüre zu machen, hat zu der leichteren Form der Symphonie, die Anfangs aus ein oder etlichen fugirten Stüken, die mit Tanzstüken von verschiedener Art abwechselten, und insgemein Partie genennet wurde, Anlaß gegeben. Die Ouvertüre erhielt sich zwar noch vor grossen Kirchenstüken und Opern; und man bediente sich der Partien blos in der Cammermusik: allein man wurde der Tanzstüke, die ohne Tanz waren, auch bald müde, und ließ es endlich bey ein oder zwey fugirten oder unfugirten Allegros, die mit einem langsamern Andante oder Largo abwechselten, bewenden. Diese Gattung wurde Symphonie genennet, und sowol in der Cammermusik, als vor Opern und Kirchenmusiken eingeführet, wo sie noch izt im Gebrauch ist. Die Instrumente, die zur Symphonie gehören, sind Violinen, Bratsche, und Baßinstrumente;[1121] jede Stimme wird stark besezt. Zum Ausfüllen oder zur Verstärkung können noch Hörner, Hoboens und Flöten dazu kommen.

Man kann die Symphonie mit einem Instrumentalchor vergleichen, so wie die Sonate mit einer Instrumentalcantate. Bey dieser kann die Melodie der Hauptstimme, die nur einfach besezt ist, so beschaffen seyn, daß sie Verzierung verträgt, und oft so gar verlanget. In der Symphonie hingegen, wo jede Stimme mehr wie einfach besezt wird, muß der Gesang den höchsten Nachdruk schon in den vorgeschriebenen Noten enthalten und in keiner Stimme die geringste Verzierung oder Coloratur vertragen können. Es dürfen auch, weil sie nicht wie die Sonate ein Uebungsstük ist, sondern gleich vom Blatt getroffen werden muß, keine Schwierigkeiten darin vorkommen, die nicht von vielen gleich getroffen und deutlich vorgetragen werden können.

Die Symphonie ist zu dem Ausdruk des Großen, des Feyerlichen und Erhabnen vorzüglich geschikt. Ihr Endzwek ist, den Zuhörer zu einer wichtigen Musik vorzubereiten, oder in ein Cammerconcert. alle Pracht der Instrumentalmusik aufzubieten. Soll sie diesem Endzwek vollkommen Genüge leisten, und ein mit der Oper oder Kirchenmusik, der sie vorhergeht, verbundener Theil seyn, so muß sie neben dem Ausdruk des Großen und Feyerlichen noch einen Charakter haben, der den Zuhörer in die Gemüthsverfassung sezt, die das folgende Stük im Ganzen verlangt, und sich durch die Schreibart, die sich für die Kirche, oder das Theater schikt, unterscheiden.

Die Kammersymphonie, die ein für sich bestehendes Ganze, das auf keiner folgenden Musik abziehlet, ausmacht, erreicht ihren Endzwek nur durch eine volltönige glänzende und feurige Schreibart. Die Allegros der besten Kammersymphonien enthalten große und kühne Gedanken, freye Behandlung des Sazes, anscheinende Unordnung in der Melodie und Harmonie, stark marquirte Rhythmen von verschiedener Art, kräftige Baßmelodien und Unisoni, concertirende Mittelstimmen, freye Nachahmungen, oft ein Thema, das nach Fugenart behandelt wird, plözliche Uebergänge und Ausschweifungen von einem Ton zum andern, die desto stärker frappiren, je schwächer oft die Verbindung ist, starke Schattirungen des Forte und Piano, und fürnemlich des Crescendo, das, wenn es zugleich bey einer aufsteigenden und an Ausdruk zunehmenden Melodie angebracht wird, von der größten Würkung ist. Hiezu kömmt noch die Kunst, alle Stimmen in und mit einander so zu verbinden, daß ihre Zusammentönung nur eine einzige Melodie hören läßt, die keiner Begleitung fähig ist, sondern wozu jede Stimme nur das Ihrige beyträgt. Ein solches Allegro in der Symphonie ist, was eine pindarische Ode in der Poesie ist, es erhebt und erschüttert, wie diese, die Seele des Zuhörers, und erfodert denselben Geist, dieselbe erhabene Einbildungskraft, und dieselbe Kunstwissenschaft, um darin glüklich zu seyn. Die Allegros in den Symphonien des Niederländers Vanmaldere, die als Muster dieser Gattung der Instrumentalmusik angesehen werden können, haben alle vorhin erwähnten Eigenschaften, und zeugen von der Größe ihres Verfassers, dessen frühzeitiger Tod der Kunst noch viele Meisterstüke dieser Art entrissen hat.

Das Andante oder Largo zwischen dem ersten und lezten Allegro hat zwar keinen so nahe bestimmten Charakter, sondern ist oft von angenehmen, oder pathetischen, oder traurigen Ausdruk; doch muß es eine Schreibart haben, die der Würde der Symphonie gemäß ist, und nicht, wie es zur Mode zu werden scheinet, aus bloßen Tändeleyen bestehen, die, wenn man doch tändeln will, eher in einer Sonate angebracht werden, oder in Symphonien vor komischen Operetten einen guten Plaz haben können.

Die Opernsymphonien nehmen mehr oder weniger von der Eigenschaft der Kammersymphonie an, nachdem es sich zu dem Charakter der vorzustellenden Oper schikt. Doch scheint es, daß sie weniger Ausschweifung vertragen, und auch nicht so sehr ausgearbeitet seyn dürfen, weil der Zuhörer mehr auf das, was folgen soll, als auf die Symphonie selbst, aufmerksam ist. Da die mehresten unserer großen Opern denselben Charakter, und eine bloße Ohren und Augenverblendung zum Grunde zu haben scheinen, so thut die Symphonie schon ihre Würkung, wenn sie auch nur blos wolklingend lärmet. Wenigstens haben die Opernsymphonien der Italiäner niemals eine andere Eigenschaft: Die Instrumente lärmen in den Allegros über einen Trommelbaß und drey Accorden, und tändeln in den Andantinos, ohne Kraft und Ausdruk; auch achtet kein Zuhörer in Italien auf die Symphonie. Graun hat ungleich [1122] mehr Kunst und Charakter in seinen Opernsymphonien gebracht, doch fehlte seiner zärtlichen Seele das hiezu nöthige Feuer. Der schöne Gesang, der ihn nie verließ, so schäzbar er auch ist, ist in jeder Symphonie doch nur von matter Würkung. Man glaubt eine feurige Opernarie zu hören, die von Instrumenten vorgetragen wird. Graun würde in diesem Fach von seinem Bruder, dem verstorbenen Concertmeister übertroffen worden seyn, der in einigen Cammersymphonien den wahren Geist der Symphonie getroffen hat. Auch hat Hasse ihn hierin übertroffen, obgleich dessen Opernsymphonien auch viel arienmäßiges haben.

Die Franzosen suchen in ihren Symphonien vor den Operetten Tändeleyen mit erhabenen Gedanken abzuwechseln. Aber alle ihre Erhabenheit artet in Schwulst aus; man darf, um sich hievon zu überzeugen, nur die erste die beste französische Symphonie in Partitur sehen, oder anhören. Da die Operetten überhaupt mehr Charakteristisches, als die großen Opern haben, so ist es nicht ausgemacht, daß es jedesmal eine Symphonie seyn müsse, womit das Stük anfängt. Manche Operette kann einen Charakter haben, wozu sich das Große der Symphonie gar nicht schikt. Hier wäre Gelegenheit, neue Formen zu erfinden, die jedem Stük angemessen wären, und die man den allgemeinen Namen Introduction geben könnte, damit sie nicht mit der Symphonie, die eigentlich immer nur die Pracht und das Große der Instrumentalmusik zum Endzwek haben sollte, verwechselt würden.

Die Kirchensymphonie unterscheidet sich von den übrigen fürnemlich durch die ernste Schreibart. Sie besteht oft nur aus einem einzigen Stük. Sie verträgt nicht, wie die Kammersymphonie, Ausschweifungen oder Unordnung in den melodischen und harmonischen Fortschreitungen, sondern geht in gesezten und nach Beschaffenheit des Ausdruks des Kirchenstüks geschwinderen oder langsameren Schritten fort, und beobachtet genau die Regeln des Sazes. Sie hat statt des Prächtigen oft eine stille Erhabenheit zum Endzwek, und verträgt am besten eine pathetische und wol ausgearbeitete Fuge.

Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 1121-1123.
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