Geschrei

1. Auf das gemeine Geschrei ist nicht allzeit zu sehen.


[1599] 2. Bey grossem geschrey ist wenig klugheit.Henisch, 1545, 66; Petri, II, 43.


3. Böss geschrey laufft schnell.Henisch, 1545, 59.


4. Das gemein geschrey gehet selten leer.Henisch, 1545, 65; Petri, II, 60.


5. Das Geschrei bringt die Henne ums Ei.


6. Das Geschrei tödtet den Mann.

Es war im alten Rechtsverfahren der Klage Anfang. (S. Gerüft.)


7. Das geschrey ist bei manchem das gröste.Henisch, 1546, 1.


8. Das Geschrey ist des Werckes Schatten, es folgt jhm immer auff dem Fusse nach.Petri, II, 61.


9. Das geschrey steht selten der Warheit bey. Lehmann, 301, 27.


10. Das geschrey ist ein Poltergeist.Lehmann, 301, 29.


11. Dass geschrey ist ein falscher Spiegel, der offt ein ding recht, offt gantz falsch zeigt.Lehmann, 300, 1.


12. Der eine hat das Geschrey, der andere den Nutz.Petri, II, 85.


13. Der im geschrey ist, der muss den Namen haben, wie der Stum Niemand.Lehmann, 301, 26.


14. Ein böses Geschrei wächst über Nacht.

Lat.: Fama repleta malis velocibus evolat alis. (Altdorf, 270; Binder II, 1090.)


15. Ein böss geschrey kompt baldt weit auss. Henisch, 1545, 60; Petri, II, 170.


16. Ein geschrey fleugt geschwinder dann der Wind.Henisch, 1546, 6; Petri, II, 190.


17. Ein geschrey hat vil Zungen vnd Münde. Henisch, 1546, 90.


18. Ein geschrey ist schneller flügel und rischer Beine.Petri, II, 190.


19. Ein geschrey, je mehr es laufft, je stärcker es wirdt.Henisch, 1546, 7; Petri, II, 190.


20. Ein gross Geschrei mit Einem Ei.

Frz.: Belle montre, peu de rapport.


21. Einem geschrey legt jederman ein stücklen zu.Henisch, 1546, 8.


22. Es ist eben das geschrey wie das ey.Franck, I, 117a.


23. Es ist einer bald in ein böss geschrey kommen, er ist aber nicht so leicht wider herauss bracht.Petri, II, 280; Henisch, 176, 4.


24. Es ist nicht allzeit auf das gemeine Geschrei zu gehen.Seybold, 94.

Lat.: Credere fallaci gravis est dementia famae. (Binder II, 603; Philippi, I, 97.)


25. Es ist nichts hinder vil geschrey, sagte der Wolff zur Nachtgallen.Henisch, 1545, 67.


26. Geschrei ist ein Poltergeist, der alle Länder und Städte durchreist.


27. Geschrei ist keine Wolle.

Holl.: Wat anders is 't geschreeuw, wat anders is de wol. (Harrebomée, I, 231.)


28. Geschrey hat offt betrogen vnnd offt hats nicht gelogen.Lehmann, 301, 14; Graf, 455, 472; Braun, I, 753; Körte, 2065; Simrock, 3491.

Gerüchte, wenn sie nicht durch Thatsachen unterstützt werden, haben keine gerichtliche Beweiskraft.

Engl.: Common fame, seldom to blame.

Lat.: Fama tam ficti pravique tenax, quam nuncia veri. (Virgil.) (Binder I, 516; II, 1091; Fischer, 91, 16.)


29. Geschrey macht den Wolf grösser als er ist. Lehmann, 300, 2; Simrock, 3490; Körte, 2064; Braun, I, 752; Reinsberg IV, 91.

Lat.: Jam fama nimium fecit. (Binder II, 1582.) – Non semper homo talis est, qualis dicitur. (Binder II, 2231; Lehmann, 300, 3.)


30. Geschrey wächst wie ein geweltzter Schneeballen.Lehmann, 302, 32.


31. Gross g'schraue, gli verraue. (Aargau.) – Schweiz, II, 144, 7.


32. Gross geschrey vnd nichts dahinden.Henisch, 1545, 61; Petri, II, 357.


33. Gross geschrey, wenig Geld in der Taschen. Petri, II, 357.


[1600] 34. Graut Geschrai, oawer wennich Wulle, harre de Wulf saght, doa harre 'ne Zîë terieten1. (Plattenberg in der Grafschaft Mark.) – Frommann, III, 257, 64.

1) Ziege zerrissen.


35. Gross geschrey, wenig Wolle.Luther's Ms., S. 7; Eiselein, 230.

Lat.: Multum clamoris, parum lanae. (Binder II, 1939.)


36. Grôt Geschröcht, klên Gewöcht.Neue Preuss. Provinzialbl., XI, 444; Frischbier2, 1241.


37. Gut geschrey vnd bar gelt ist das best in dieser Welt.Henisch, 326, 16.


38. Halt nie gar viel auf laut Geschrei, denk', dass ein Theil erlogen sei.Eiselein, 230.


39. Hüt dich für grossem geschrey.Petri, II, 388.


40. Jedes Geschrei ist gut, wenn's über einen hergehen soll.Körte, 2066; Braun, I, 754.


41. Man kommt geschwind ins Geschrei hinaus, aber langsam wieder heraus.

42. Man muss böss geschrey verachten, wie das rauschen einer dürren Schweinsblasen. Henisch, 1545, 63; Petri, II, 459.


43. Ohne Geschrei lege dein Ei.


44. Vêl Geschrî un kêne Wull, sagte Grane Knull, und liess einen, der um Hülfe schrie, ertrinken.

Holl.: Hoe maakt hij zooveel gebruis in het water, zei Roelof, en hij zag een' man verdrinken. (Harrebomée, I, 210.)


45. Vêl Geschrî un wênig Wull, säd' de Düwel un schêrt 'n Swîn. (S. Gekrît.)Hoefer, 1031a; Schütze, II, 28; Hagen, 98, 6; für Ostpreussen: Frischbier2, 1242.

Ebenso hochdeutsch und niederdeutsch vom Narren, Schäfer, Schmied.

Engl.: Great cry and little wool, quoth the devil, when he sheared his hogs. (Bohn II, 365.)

Frz.: Grand rumeur, petite toison, dit celui qui tond les cochons. (Leroux, I, 110; Kritzinger, 96b.)

Holl.: Veel geschreeuw maar weinig wol, zei de drommel, en hij schoor zijne varkens. (Harrebomée, I, 231.)


46. Viel Geschrei und wenig gescheite (vernünftige) Worte.Pistor., IX, 66.

Frz.: Faire plus de bruit que de besogne. (Körte, 2067; Eiselein, 230.)


47. Viel Geschrei und wenig Wolle, sagte der Teufel und zog seiner Grossmutter die Haare einzeln aus dem Hintern.Hoefer, 1030; Simrock, 3496.


48. Viel Geschrei, wenig Ei.Parömiakon, 3004.

»Je mehr die Menschen reden und schreiben, desto weniger handeln sie. Stumme Verzweiflung ist alleinige Mutter gefährlicher Verschwörungen; daher ein vollendeter Tyrann gewöhnlich der Vater der Freiheit.« (Welt und Zeit.)


49. Viel Geschrei, wenig Wolle, viel Stroh, wenig Korn.Winckler, XX, 31.

So steht auch die grosse Masse von Wissen, welche über die Welt verbreitet ist, durchaus in keinem Verhältniss mit der sparsam verbreiteten gesunden Vernunft.


50. Viel geschrey, nichts darhinter.Gruter, I, 68.

»Wo man viel schreit«, sagt Seume, »sind gewöhnlich die grossen, schönen Thaten zu Ende. Als Plato und Aristoteles schrieben, waren keine Miltiades und Aristides; als Cicero redete, hatte die sterbende Republik keine Scipionen, Fabier und Fabricier mehr.«

Frz.: Beaucoup de bruit pour une omelette de lard.


51. Viel Geschrey vnd wenig Wolle, sprach der Teuffel (oder: sprach jener, sprach der Narr), vnd beschor ein Saw.Eyering, III, 355; Müller, 31, 4; Körte, 2067; Bücking, 348; Latendorf II, 27; Bohn I, 73; Hollenberg, III, 19; Eiselein, 230; Simrock, 3495; Braun, II, 494; Kirchhofer, 174; für Rastede: Firmenich, III, 28, 95.

»Vil wort, wenig Res vnnd Händel.« (Mathesy, 240b.) »Du gibst mit alle deinem Schrein nicht so viel Wolle als ein Schwein.« (Butler.)

Mhd.: Geschreies vil und lutzel wolle gap ein sû. (Colm.) (Zingerle, 51.)

Engl.: Great cry and little wool. (Eiselein, 230.) – Much bran and little meal. (Gaal, 686.)

Frz.: Beaucoup de caquet et peu d'effet. (Starschedel, 400.) – Faire une belle levée de boucliers.

Holl.: Veel geschreeuw maar weinig wol, zei de drommel, en hij schoor zijne varkens. (Bohn I, 340.)

It.: Assai romore e poca lana, disse colui che tosava la porca. (Bohn I, 73; Gaal, 686.) – Gran fumo, e poco arrosto. (Körte, 2067.)

[1601] Lat.: Asinus in pelle leonis. – Multum clamoris parum lanae. (Gaal, 686.) – Non oportet multis verbis pauca dicere, sed paucis multa.

Schott.: Muckle din and little woo', said de devil and shore a sow.


52. Vil geschrei, wenig woll.Franck, I, 74b; II, 45a u. 96a; Tappius, 143b; Petri, II, 572; Gruter, I, 68; Eyering, I, 201; Braun, I, 755; Simrock, 3494.

Mehr Lärmen als Nüsse, sagen die Spanier. Und der Engländer führt in diesem Sinne Geschütze gegen Fliegen auf. (Reinsberg IV, 76.)

Böhm.: Hory slov, a dílo (skutek) s prachem lítá. – Mnoho hluku, málo zvuku. – Mnoho vřávy, málo správy. – Mnoho vřesku a málo vlny. – Mnoho vřesku, málo zisku. – Mnoho výčeskův, málo vlny. (Čelakovský, 80.)

Kroat.: Vnogo kriča, malo vune. (Čelakovský, 80.)


53. Vom Geschrei stirbt man nicht.

Lat.: Complurium thriorum ego strepitum audivi. (Erasmus, 626; Tappius, 169a.)


54. Wen das geschrey zum Buben macht, der bleibt sein lebenlang veracht.Lehmann, 302, 29.


55. Wie das Geschrei, so ist auch das Ei.Simrock, 3493; Körte, 2068; Braun, I, 756.


*56. Er ist im geschrey wie des Müllers Kuh. Eyering, II, 354.


*57. Hans Allermann's Geschrei.

»Wie er sich fürchtet, dass nicht etwan Hans Allermanns Geschrey möcht uberhand nemen.« (Coler, 210.)


*58. Mehr geschrey als woll.Henisch, 1545.


*59. Sie hat sich ins Geschrei gebracht.


[Zusätze und Ergänzungen]

60. Das geschrey dess gemeinen Volks ist die war stimm' Gottes.

»Ist ein alt' Sprichwort.« (Aventin, CCXXXVIb.)


61. Geschrei vertreibt den Wolf.

It.: Dalle grida ne scampa il lupo. (Giani, 940.)


[1337] 62. Man hört es schon an dem Geschrei, dass der Esel kein Löwe sei.

It.: Al ragliare si vedrà che non è leone. (Giani, 1411.)


63. Viel Geschrei und doch kein Ei.


64. Viel Geschrei und wenig Wolle!

Sagt man jetzt fast ganz allgemein in Deutschland, ohne sich eben viel dabei denken zu können. Der richtige Sinn dieses Sprichwortes scheint sich in der Schweiz erhalten zu haben, wo es lautet: »Vil G'scherei (d.h. viel Scherens) und wenig Wolle.« In unserer Mundart müsste es also etwa lauten: »Viel Schererei und wenig Wolle.« (Deutscher Sprachwart von Max Moltke, IX, 9, 143.)


65. Vil G'schroa, weng Oar. (Oberösterr.)

Wenig Eier bei vielem Geschrei.


*66. A Geschrei wie beim Chorben (Zerstörung) Beiss-ha-mikdesch (heiliger Tempel). (Warschau.)

Ein grosses Jammergeschrei, wie bei der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem.


*67. Er macht ein Geschrei als fiel dem Himmel der Boden ein.Schaltjahr, IV, 360.


*68. Viel Geschrei um nichts.

Lat.: Mira de lente. (Philippi, I, 251; Seybold, 307; Hanzely, 17.)


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 1. Leipzig 1867.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese. Chronik eines Frauenlebens

Therese gibt sich nach dem frühen Verfall ihrer Familie beliebigen Liebschaften hin, bekommt ungewollt einen Sohn, den sie in Pflege gibt. Als der später als junger Mann Geld von ihr fordert, kommt es zur Trgödie in diesem Beziehungsroman aus der versunkenen Welt des Fin de siècle.

226 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon