Erbvertrag

[681] Erbvertrag ist ein Vertrag über den künftigen Nachlaß eines noch lebenden Menschen, der nicht blos über die künftige Erbfolge in das Vermögen unter Verwandten selbst abgeschlossen werden kann, sondern auch über das Vermögen dritter, nicht mit contrahirender Personen, wobei indeß vorausgesetzt wird, daß Demjenigen, welcher in Bezug auf dieses Vermögen einen Vertrag abschließt, auch ein gewisses Recht an diesem Vermögen, hier das Erbrecht, zusteht. Dieses sein Recht, sei es nun, daß er es ebenfalls aus einem Vertrage, oder aus einem letzten Willen, oder aus dem Gesetz herleitet, kann der zukünftige Erbe einem Andern abtreten, der zukünftige Erblasser wird aber dadurch zu nichts verbunden. Eine ganz andere Bewandtniß hat es mit solchen Verträgen, welche die künftige Erbfolge und das eigne Vermögen eines Contrahenten betreffen und die auf die verschiedenste Art eingegangen werden; entweder erwirbt dadurch ein Contrahent ein Erbrecht oder er verzichtet auf eine Nachfolge; entweder wird dadurch einem Mitcontrahenten oder einem Dritten die Erbfolge eingeräumt, wie auch der Verzicht entweder zu Gunsten eines Mitcontrahenten oder einer andern Person geschehen kann, für welche ein Mitcontrahent sich zu verwenden Ursache hat. Das röm. Recht legte solchen Verträgen gar keine verbindliche Kraft bei, weil es das Erbrecht als Staatssache betrachtete, welche kein Gegenstand der Privatverträge sein könne, auch bei dem leidenschaftlichen und verderbten Charakter des Volkes lebensgefährliche Folgen für den Erblasser befürchtete, wenn schon bei seinen Lebzeiten unwiderrufliche Rechte auf seinen Nachlaß erworben werden könnten. In Deutschland, wo die Erbverträge um so häufiger waren, da man in frühern Zeiten die röm. Testamente gar nicht kannte, legt man ihnen volle Kraft bei, auch wenn sie ohne gerichtliche Bestätigung oder eidliche Bekräftigung abgeschlossen sind. Dagegen wird vorausgesetzt, daß die Contrahenten überhaupt dispositionsfähig sind, weshalb denn bei den Unmündigen Zuziehung des Vormundes und bei Frauenzimmern des Curators nöthig wird. Besonders bei dem hohen und dem alten niedern Geschlechtsadel waren und sind auch noch Erbverträge sehr gebräuchlich. Zu den vorzüglichsten Arten gehören: die Erbverbrüderungen, wodurch verschiedene Familien sich ein nicht allemal gegenseitiges Erbrecht in ihre Besitzungen bedingen, welches sonst nicht stattgefunden hätte; Erbeinigungen, welche blos auf gegenseitige Sicherheit und Hülfsleistung gerichtet waren, sind damit nicht zu verwechseln. Eine noch gewöhnlichere Art von Erbverträgen sind diejenigen, wodurch Töchter aus adeligen Familien auf die Erbfolge an die Güter des Hauses Verzicht leisten. Nach älterm deutschen Rechte kam den Frauenzimmern gar kein Erbrecht zu, weil dieses lediglich nur durch Kriegsdienste erworben werden konnte. Die Verzichtleistung der Frauenzimmer wirkt aber gewöhnlich nur so lange, als noch successionsfähige [681] männliche Familienglieder da sind; erlischt aber der Mannsstamm, so entsteht die Frage: ob von den Töchtern des Hauses diejenige, welche dem letzten männlichen Besitzer der Güter am nächsten verwandt ist – die sogenannte Erbtochter – die nächste in der Erbfolge sei oder ob die Regredienterbin, d.i. diejenige, welche mit dem gemeinschaftlichen Stammvater am nächsten verwandt ist, vorgehe. Eine sehr wichtige Art von Erbverträgen des Adels sind ferner diejenigen, welche Untheilbarkeit der Güter zum Zweck haben; um diese zu erreichen, gibt es vier verschiedene Erbfolgeordnungen: Primogenitur, Majorat, Seniorat und Minorat (s.d.). Bei den bürgerlichen Ständen waren und sind Erbverträge weniger gebräuchlich und es kommen hauptsächlich nur zwei Arten unter ihnen vor, nämlich: Ehestiftungen, welche über das Erbfolgerecht der Ehegatten disponiren, und die sogenannte Ein kindschaft, d.i. ein Vertrag, wodurch Kinder aus verschiedenen Ehen gegen die sich darüber vereinigenden Ältern in das Verhältniß rechter Kinder gesetzt werden. Die nächste Veranlassung zu solchen Verträgen gab die allgemeine eheliche Gütergemeinschaft, und sie sind deshalb in Ländern, wo diese nicht gilt, weniger gebräuchlich.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 681-682.
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