Gicht

[219] Gicht ist eine mit fehlerhafter Beschaffenheit der ganzen Säftemasse des Körpers, schlechter Verdauung, namentlich Leberbeschwerden und mit Absonderung eines in seinen Bestandtheilen krankhaft veränderten Urins wesentlich verbundene Krankheit, die sich in ihrer äußern Erscheinung hauptsächlich durch reißende und stechende Schmerzen in den Gelenken der Gliedmaßen, später (nach Absetzung einer harten knochenähnlichen Masse in dieselben) wol auch durch Steifigkeit oder gar Verkrüppelung derselben zu erkennen gibt. Nachdem gewöhnlich längere Zeit Verdauungsstörungen verschiedener Art vorausgegangen sind, beginnt die Krankheit selbst meist im Frühjahre damit, daß der Erkrankende plötzlich nach Mitternacht von einem heftigen Schmerze in dem Gelenke einer Zehe oder eines Fingers geweckt und zugleich von Fieber befallen wird, welches mit dem Schmerze zugleich schnell sich steigernd nach einer Dauer von 24 Stunden unter dem Eintritte eines allgemeinen Schweißes mit gleichzeitigem Nachlassen der Schmerzen endet, wobei jedoch das befallene Gelenk anschwillt und roth und glänzend wird. Solcher Fieber- und Schmerzanfälle wiederholen sich gewöhnlich 7–14 hintereinander, in der Regel einen Tag um den andern, bis allmälig Schmerz und Anschwellung des ergriffenen Gelenks sich vermindern, die Haut desselben zu jucken, zuweilen auch sich abzuschilfern beginnt und der abgehende Urin einen weißen oder rothen Bodensatz macht. Nur in außerordentlich seltenen Fällen kommt der Mensch mit einem einzigen solchen Anfalle davon, meistens kehren dergleichen alljährlich zu bestimmten Zeiten wieder. Die befallenen Gelenke verlieren nach und nach das glänzendrothe Ansehen, welches sie während der ersten Anfälle der Krankheit darboten, werden dagegen häufig durch Ablagerung einer knochenharten Masse in ihre Häute mehr oder weniger verunstaltet, steif und unbeweglich, oder es bilden sich auch außerhalb der Gelenke sogenannte Gichtknoten. Haftet der Gichtschmerz in den Gelenken des Fußes, so wird die Krankheit Podagra genannt, ist aber im Gelenk der Hand der Sitz desselben, so heißt sie Chiragra, ist das Knie befallen, Gonagra u.s.w. Bedenklicher und qualvoller zugleich ist die Krankheit, wenn die Knochen des Kopfs (Kopfgicht), das Rückgrath, die Lenden, die Kreuz- und Hüftgegend der Sitz der mit ihr verbundenen Schmerzen werden oder diese, ohne sich irgendwo festzusetzen, öfter ihre Stelle wechseln (herumziehende, unregelmäßige Gicht). Kann die Gicht nicht zu ihrer regelmäßigen Ausbildung gelangen, so versteckt sich dieselbe oft hinter andere Krankheitszustände und wird dann verlarvte Gicht genannt. Eine besondere Anlage zur Gicht wird ererbt oder auch erworben, entwickelt sich aber in beiderlei Fällen nur ausnahmsweise vor dem Beginn des mittlern Lebensalters. Allzu reichliche, zu nahrhafte und reizende Kost bei sitzender Lebensweise und gleichzeitigen, übermäßigen Geistesanstrengungen, namentlich öfterer Genuß säuerlicher, junger Weine oder solcher Nahrungsmittel, die zur Säureerzeugung Veranlassung geben, aber auch Ausschweifungen, alle mit drückender Armuth gewöhnlich verbundenen Entbehrungen u.s.w. begünstigen ihre Entstehung. Männer von 30–60 Jahren und starkem, vollsaftigem Körperbau sind ihr am meisten ausgesetzt. Bedroht die Gicht auch nicht unmittelbar das Leben, so gehört sie doch zu den langwierigen und schwer heilbaren Krankheiten, ja kann durch ihre Neigung, nach innern Theilen zurückzutreten, schnell gefährlich werden, wenn sie verwahrlost wird. Die wirksamsten Verhütungsmittel [219] des Ausbruchs der Gicht sind eine möglichst einfache Kost, überhaupt Mäßigkeit in allen Genüssen, hinlänglich warme, jedoch die Haut nicht überreizende und verzärtelnde Bekleidung, zuweilen auch wol Veränderung des Wohnorts und der Beschäftigung.

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Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 219-220.
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