Kastor und Pollux

[577] Kastŏr und Pollux, auch zusammen die Dioskuren genannt, waren die Söhne der Leda, der Gemahlin des lacedämonischen Königs Tyndarus und der Geliebten des Jupiter. Dieser war ihr, als sie sich badete, in der Gestalt eines Schwanes genaht und Leda gebar nun zwei Eier, aus deren einem Pollux und Helena hervorgingen, während das andere Kastor und Klytämnestra verbarg. Die ersten beiden waren göttlichen Ursprungs und darum unsterblich, während die beiden letzten irdischer Abkunft waren. Die beiden Brüder hingen indeß mit zärtlicher Liebe aneinander und verrichteten gemeinschaftlich ihre Heldenthaten. Während sich Pollux als Fechter auszeichnete, that es K. in der Kunst des Rossebändigens Allen zuvor. Die Jünglinge waren unter den Helden des Argonautenzuges. Auf diesem Zuge soll es geschehen sein, daß ein fürchterliches Unwetter sich erhob, welches das Schiff in den Abgrund des Meeres zu versenken drohte, als plötzlich auf den Häuptern der Jünglinge Flammen oder Sterne erschienen, worauf sich alsbald das Unwetter legte. Diese in alter wie in neuerer Zeit häufig zu Lande sowol als zu Meere (hier jedoch öfterer) beobachtete Erscheinung ist gegenwärtig unter dem Namen des St.-Elmsfeuers bekannt und ist eine ohne Explosion (Blitz und Donner) vor sich gehende Entladung der elektrischen Wolken, daher den Schiffenden ein sicheres Zeichen, daß das Unwetter, welches sie ängstete, unschädlich vorübergeht. Die Alten erblickten in den Flammen, welche bei dieser Gelegenheit an den Spitzen der Segelstangen und der Masten, wol auch auf den Häuptern der Menschen erscheinen, die rettenden Dioskuren, und diese galten daher überhaupt für Beschützer der Seefahrer und in noch weiterm Sinne für die unverhofft kommenden Retter in Gefahr. Da bei dem St.-Elmsfeuer keineswegs stets zwei Flammen auftreten und doch dieses Feuer als dioskurisches oder Zwillingsfeuer bezeichnet wird, so kann man schon hieraus die Muthmaßung entnehmen, daß die Alten unter Dioskuren die Elektricität vorgestellt haben, und daß sie die Elektricität (s.d.) selbst nach ihrem Doppelwesen gekannt haben. Noch mehr findet diese Annahme Bestätigung, wenn man auf die übrigen mythischen Überlieferungen von den Dioskuren einen Blick wirst. So heißt es, daß der seiner Abstammung nach unsterbliche Pollux von Jupiter erfleht habe, daß er mit seinem Bruder K. die Unsterblichkeit theilen dürfe. Es wurde ihm diese Bitte insoweit gewährt, daß fortan sie Beide leben sollten, aber so, daß, wenn der eine der Unterwelt entstiege, der andere in sie hinabsteigen müßte. Im Widerspruche hiermit heißt es aber auch, daß die Dioskuren stets nur gemeinschaftlich auftreten, um ihre Thaten zu vollbringen. Mit der Natur der Elektricität stimmen diese widersprechenden Sagen auf das vollkommenste zusammen. Beide (positive und negative) Elektricitäten sind nur in dem Gegensatze vorhanden, sodaß die eine nur da erscheinen kann, wo die andere eben nicht ist, und doch ist die elektrische Wirksamkeit stets durch das gemeinschaftliche Auftreten beider Elektricitäten bedingt. Die Mythe erzählt noch mancherlei von den Thaten der Dioskuren; so sollen sie ihre Schwester Helena aus der Gefangenschaft befreit haben, in welche sie Theseus geführt hatte, und sollen an der Jagd auf den kalydonischen Eber Theil genommen haben. Endlich sollen sie um die Töchter des Leucippus mit dessen Söhnen gekämpft haben, und in diesem Streite soll K. erschlagen worden sein. In der griech. und röm. Geschichte werden Fälle erzählt, in welchen sie plötzlich auf weißen Rossen reitend in der Reihe der Kämpfenden erschienen sein und den Sieg entschieden haben sollen. Es wurden ihnen Tempel und Altäre gebaut, und besonders die Seefahrer fleheten zu ihnen als schützende Götter. Abgebildet wurden sie gewöhnlich zu Roß oder neben ihren Rossen stehend, der eine links und der andere rechts um sich drehend, und ihre beständige Kopfbedeckung ist ein runder Helm oder Mütze, über welchem ein Stern steht, an das dioskurische Feuer erinnernd. Auch pflegen sie Lanzen und zuweilen einen Mantel zu tragen, übrigens aber unbekleidet zu sein. Auch die alterthümlichen Abbildungen der Dioskuren hat in neuerer Zeit Professor Schweigger, ein ausgezeichneter Physiker, mit der Lehre von der Elektricität auf eine höchst interessante Weise in Verbindung gesetzt.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1838., S. 577.
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