Melbourne

[106] Melbourne (Will. Lamb, Viscount), seit Apr. 1835 zum zweiten Male erster Minister des brit. Reichs oder erster Lord des Schatzes, ist der im März 1779 geborene älteste Sohn von Sir Peniston Lamb, gest. 1828, der 1770 zum Lord Melbourne und 1815 zum Pair erhoben wurde. M. besuchte die berühmte Schule zu Eton und die Universität Oxford mit großem Erfolg für die Ausbildung seiner Talente und nachdem er ins engl. Unterhaus gewählt worden war, wo er auf die Seite der Whigs oder was jetzt Dasselbe ist, der gemäßigten Reformer trat, erregte er gleich durch seine erste Rede die besondere Aufmerksamkeit des Hauses. Eine zweijährige Anstellung als erster Secretair von Irland brachte ihm nicht blos Vertrautheit mit den Geschäften, sondern auch die irländ. Pairswürde ein und 1830 wurde er in dem von Lord Grey gebildeten Ministerium Minister des Innern. Als solcher hatte er zunächst bei dem aufgeregten Zustande des Landes für Aufrechthaltung gesetzlicher Ordnung zu wachen und verstand es, die fast über das ganze Land verbreiteten, gefahrdrohenden Vereine von Arbeitern, welche für geringere Leistungen höhere Löhne erzwingen wollten, unschädlich zu machen. Im Jul. 1834 trat M. als Nachfolger von Lord Grey an die Spitze des Ministeriums, erfuhr aber bei den fortdauernden Verhandlungen über die Angelegenheiten der irländ. Kirche, sowie in Bezug auf eine vom Unterhause angenommene Bill, welche den Dissenters die Erwerbung akademischer Grade bewilligte, den entschiedensten Widerspruch der Tories im Oberhause und wurde daher mit seinem noch durch andere Zwischenfälle geschwächten Cabinet am 14. Nov. 1834 von König Wilhelm IV. entlassen. Das hierauf von Peel und Wellington gebildete Ministerium konnte aber die Mehrheit in dem neugewählten und am 19. Febr. 1835 eröffneten Unterhause nicht erringen und trat daher am 8. Apr. wieder zurück; die Verhältnisse waren jedoch so wenig einladend, daß erst am 18. Apr. ein neues Ministerium zu Stande kam, an dessen Spitze wieder M. als erster Lord des Schatzes stand. Die Zurücknahme der irländ. Zwangsbill oder des 1833 von Lord Grey in Irland eingesetzten Kriegsrechts und die nur nach großem Widerstande des Oberhauses durchgesetzte Verbesserung der Gemeindeverfassung der engl. und schot. Städte, waren zunächst die wichtigsten von der Regierung ausgegangenen Maßregeln. Ein dem letztern ähnliches Gesetz für die irländ. Städte scheiterte jedoch in der Parlamentssitzung von 1836 im Oberhause, wo das Ministerium nichts zur Verstärkung seiner Freunde thun konnte, weil der König die Ernennung ihm günstiger neuer Pairs nicht bewilligte. Gleichen Widerstand erfuhr dieselbe Maßregel und ein Gesetz zur bessern Anordnung der Zehnten in England in der Sitzung von 1837; der am 20. Jun. erfolgte Tod Wilhelm IV. führte jedoch am 17. Jul. den Schluß des Parlaments und die Auflösung desselben herbei. Ob aber in dem inzwischen neugewählten und für den 15. Nov. zusammenberufenen Unterhause das Ministerium M. eine so überwiegende Mehrheit erhalten wird, um dadurch und bei der einer Pairsernennung wol weniger abgeneigten Gesinnung der Königin Victoria das Oberhaus nachgiebiger zu machen, steht zu erwarten. M. war seit 1805 mit der einzigen Tochter des Grafen Besborough vermählt, die 1828 in London starb, nachdem sie längst getrennt von ihm gelebt hatte, wozu ein von ihr mit Lord Byron eingegangenes inniges Verhältniß die Ursache war, das zwar nach einigen Jahren abgebrochen wurde, dessen Eindruck aber die schwärmerisch reizbare, übrigens hochgebildete und selbst mit den alten Schriftstellern vertraute Dame nicht bemeistern konnte. Viel Aufsehen machte neuerdings ein ähnliches Verhältniß M.'s zu der als Schriftstellerin bekannten Mistreß Norton, welche sich jetzt von ihrem Gatten getrennt hat. – M.'s älterer Bruder, Sir Frederic James Lamb, früher Gesandter in Frankfurt a. M und am span. Hofe, ist jetzt engl. Botschafter in Wien.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 106.
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