Nestorius

[268] Nestorius, ein berühmter Kirchenlehrer des 5. Jahrh., hatte sich zu Antiochien unter Theodorus, Bischof von Mopsvestia, eine gelehrte Bildung im Christenthume erworben und bekleidete daselbst das Amt eines Presbyter, als er 428 zum Patriarchen von Konstantinopel erhoben wurde. Im Eifer für kirchliche Rechtgläubigkeit war es ihm ein Anstoß, daß die Jungfrau Maria, in einer in die Kirchensprache eingeführten Formel, Gottesgebärerin genannt wurde, da er den Ausdruck für einen Menschen nicht passend fand, weshalb er sie Christusgebärerin geheißen, auch das Göttliche und Menschliche in Christus als zwei in einer Person vereinigte Naturen bestimmt geschieden wissen wollte. Er wurde darum von einer ihm ungünstigen Hofpartei in Konstantinopel und vor Allen vom Bischof zu Alexandrien, Cyrillus (s.d.), des gehässigen Abfalls von der Kirchenlehre beschuldigt. Die darüber zwischen beiden Patriarchen gewechselten Schriften legten den Grund zu der berüchtigten Nestorianischen Streitigkeit, die über die nähere Bestimmung des Verhältnisses, in welchem das Göttliche in Christus zum Menschlichen stände, die ganze Kirche in Aufruhr brachte. Als der Kaiser 332 auf der Kirchenversammlung zu Ephesus den Streit beilegen wollte, hatte Cyrill schon die Verdammung der Meinung des N. ausgesprochen, bevor noch dieser und die griech. und syrischen Bischöfe angekommen waren, die sich jedoch diesem Ausspruch anschlossen. Ein Theil der Bischöfe hielt sich nun zu Cyrill, ein anderer zu N., dessen Anhänger Nestorianer genannt wurden. Der Streit ward mit vieler Heftigkeit fortgesetzt, bis endlich N. seines Amtes entsetzt wurde und um 440 in der Verbannung starb. Die Nestorianer bestanden indeß aller Verfolgungen ungeachtet als kirchliche Partei fort, die sich von Persien aus, wohin sich die ausgezeichnetsten Glieder derselben geflüchtet hatten, bis nach Indien verbreitete. Sie selbst führen den Namen chaldäische Christen, weil sie ihren Gottesdienst in chaldäischer Sprache halten, und in Indien Thomaschristen, von einem ihrer ehemaligen Lehrer, oder weil dort der Apostel Thomas das Christenthum zuerst verbreitet haben soll und die Nachkommen der von ihm Bekehrten sich den Nestorianern später anschlossen. Gegenwärtig theilen sich die Nestorianer in die syrischen Christen von Malayala und in die syrisch-röm. Katholiken oder unirten Nestorianer, welche auf 90,000 Seelen mit 97 Kirchen geschätzt werden und den Papst als Oberhirten anerkennen, im Übrigen aber, außer den sieben Sacramenten und dem Cölibat der röm.-katholischen Kirche, ihre eigenthümlichen Lehren und Gottesdienst behalten haben. Die höchsten kirchlichen Angelegenheiten der letztern werden von erblichen Patriarchen geleitet, denen Bischöfe, Älteste und Diakonen zur Seite stehen. Der angesehenste Patriarch führt den Titel Katholikos und wohnte ehedem in Babylon, jetzt in El-Kôsch bei Mosul in Mesopotamien. Die nicht unirten Nestorianer sind von geringerer Anzahl und ihr Hauptsitz ist in Jolimark. Sie haben die drei Sacramente von Taufe, Abendmahl und Priesterweihe, verheirathete Geistliche und zeichnen sich vor den unirten Nestorianern durch größere Sittenreinheit aus.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 268.
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