Maria

Maria

[52] Maria, die Mutter Jesu, welche in der katholischen Kirche als die erste der Heiligen verehrt und in der Kirchensprache U. L. F., d.h. unsre liebe Frau, und die h. Jungfrau genannt wird, ist in der evangelischen Geschichte zwar nur an wenig Stellen genannt, allein was von ihr mitgetheilt wird, ist hinreichend zu den Grundzügen des Bildes einer schönen und großen Seele.

Als eine Jungfrau aus dem verarmten Geschlechte David's lebte sie zu Nazareth, einem galiläischen Städtchen, hatte einen Zimmermann, Namens Joseph, zum Verlobten und wurde unter wunderbaren Umständen die Mutter Christi. Schon vor der Geburt des Heilands vernahm sie Engelsgrüße (s. Ave Maria) und Verkündigungen ihrer hohen Bestimmung; die Lobgesänge der himmlischen Heerscharen, welche dessen Geburt feierten, meldete ihr nachher der Mund der Hirten und bei der Darstellung des Kindes im Tempel ließ der ahnungsvolle Segen des frommen und gottesfürchtigen Simeon sie im Voraus fühlen, welchem Glücke und welchem Schmerze sie als Mutter einst entgegengehen werde. Die Gesinnungen M.'s inmitten dieser Erscheinungen sind ebensowol von stolzer Selbsterhebung entfernt, als hochherzig genug, um das ihr zu Theil gewordene Glück in seiner ganzen Größe zu empfinden. Fast immer verschließt sie jedoch in ihrem Herzen die tiefen Eindrücke, welche ihre Schicksale auf sie hervorbrachten, außer bei dem Zusammentreffen mit ihrer Freundin Elisabeth, der Frau des Priesters Zacharias, auf deren holdseligen Gruß sich das freudige Entzücken ihres Herzens in einen Lobgesang ergießt. Die Hoheit und Größe ihrer Seele kann daher blos mehr in der Ferne geahnet als in der Nähe geschaut und bewundert werden. Eine zärtlich besorgte Mutter erscheint sie bei der Entfernung Jesu während des Besuches von Jerusalem zur Zeit des Osterfestes und groß unstreitig ist der Einfluß, den sie auf das kindliche Gemüth Jesu ausübte, obgleich er aus Mangel an Nachrichten nicht gewürdigt werden kann. Als später Jesus sein Lehramt antrat, sah sie jedenfalls der Entwickelung seines Schicksals aufmerksam entgegen, scheute aber den Schmerz nicht, der bei der letzten grauenvollen Entscheidung desselben die ganze Empfindungskraft ihrer Seele aufs äußerste anspannen mußte. Am Kreuze wurde sie von Jesus der Liebe und Sorgfalt des Johannes übergeben, der sie zu Jerusalem in sein Haus aufnahm, woselbst sie im fünften Jahre der Regierung des Kaisers Claudius gestorben, nach einer andern Nachricht aber lebendig in den Himmel aufgehoben worden sein soll. In einem gehässigen Lichte wird M. in den spätern Schriften der Juden dargestellt, dagegen spricht der Koran ehrerbietig von ihr.

In Dem, was sich über ihren Charakter aus den zerstreuten Zügen der evangelischen Geschichte herausstellt, fand die schwärmerische Frömmigkeit der nachfolgenden christlichen Jahrhunderte Anregung genug, das Bild der M. nach allen Seiten hin auszuschmücken und zu verherrlichen. Man ließ es nicht blos dabei bewenden, sie als das höchste Vorbild des christlichen Lebens anzusehen, sondern man widmete ihr auch bald eine glänzende, fast göttliche Verehrungsweise, der besonders weibliche Gemüther von jeher zugethan waren, indem sie die M. als Beschützerin der Unschuld, als Pflegerin der aufkeimenden Frömmigkeit junger, zarter Seelen und als Trösterin aller Derer betrachteten, welche Leid und Schmerz bewegte. Auch die Künstler fühlten sich gegen sie von Begeisterung durchdrungen und suchten wetteifernd ihr holdseliges Bild mit dem des Christuskindes dem Auge als das Ideal aller Weiblichkeit darzustellen, was im Ganzen vorzüglich den ital. Malern, keinem aber mehr als Rafael Sanzio (s.d.) gelungen ist, und von mehren von ihm herrührenden Marienbildern ist das nebenstehend dargestellte, das sich in Florenz befindet, unter dem Namen der Madonna im Stuhle (ital. Madnana della sedia) eins der berühmtesten. Nicht minder erfolgreich versuchte die Dichtkunst sie zu verherrlichen, wie aus der schönen Sammlung I. B. Rousseau's: »Das Marienbüchlein. Gesänge aller Zeiten und Völker zu Ehren der allerheiligsten Jungfrau« (Frankf. 1836) hervorgeht. Zu den von der Kirche seit dem 6. Jahrh. ihr zu Ehren angeordneten Festen, die man gewöhnlich Marientage nennt, gehören: das Fest der Reinigung M.'s oder der Darstellung Jesu im Tempel, weil nach dem Mosaischen Gesetz am 40. Tage nach der Niederkunft die Ältern den erstgeborenen Sohn im Tempel Gott darstellen und weihen mußten, was am 2. Febr. gefeiert wird und auch Lichtmesse heißt, weil in der katholischen Kirche die das ganze Jahr zu gebrauchenden Wachskerzen an diesem Tage geweiht werden. Das gleichzeitig entstandene Fest der Verkündigung oder der Empfängniß Christi, das dem Andenken des Tages gewidmet ist, an welchem der Engel Gabriel der Jungfrau die Geburt des Erlösers verkündigte und das neun Monate vor derselben, am 25. März, stattfindet; das Fest der Heimsuchung, [52] das am 2. Juli begangen wird und zu den allerjüngsten im ganzen Kirchenjahre gehört, indem Papst Urban VI. es erst im 14. Jahrh. anordnete, damit die M., gleichwie sie Elisabeth besucht und getröstet, so auch die bedrängte, von zwei Päpsten zugleich beherrschte Kirche heimsuchen und mit ihrer Hülfe trösten möchte. Protestantische Länder haben in neuester Zeit die Feier dieser Feste größtentheils abgestellt, dagegen wird sie in katholischen Ländern, wo man außerdem noch die Himmelfahrt, die Geburt und die unbefleckte Empfängniß der M. begeht, mit allen Förmlichkeiten beobachtet. Einzelne Marienbilder gehören nicht nur zu den vollendetsten Erzeugnissen der Malerei, sondern sie sind auch den ihrer Betrachtung hingegebenen und andächtigen Gemüthern stumme Prediger der Tugend und Frömmigkeit geworden; auch darf man es der Andacht wol vergönnen, in der verklärten M. eine Himmelskönigin zu schauen und sie Mutter Gottes zu nennen. Der Mariendienst aber hat den Glauben an die wunderthätige Kraft mehrer Marienbilder aufgebracht und die gläubigen Katholiken wallfahrten deshalb besonders zu den Gnadenbildern zu Loretto (s.d.) in Italien, Einsiedeln (s.d.) in der Schweiz, Mariazell (s.d.) in Steiermark, Czenstochau in Polen u.A., welche in besonderm Rufe der wunderbaren Heilung von Übeln des Leibes und der Seele stehen, sowie um den durch päpstliche Bullen den Besuchern versprochenen Ablaß (s.d.) zu verdienen.

Außer der Mutter Jesus haben aber auch noch andere gleichbenannte biblische Personen ihr Andenken der Kirche ehrwürdig gemacht und die Kunst beschäftigt, so besonders Maria von Bethanien, Schwester der Martha und des Lazarus und Jesu sinnige Schülerin und zärtliche Verehrerin. Zu seinen Füßen sitzend horchte sie seiner Rede und kurz vor seinem Tode zerbrach sie über seinem Haupte ein Glas der köstlichsten Salben und trocknete seine davon benetzten Füße mit ihren Haaren, welche schöne That Jesus mit ewigem Nachruhm belohnt wissen wollte. Ferner Maria von Magdala [53] oder Magdalena (s.d.), die auf immer die dankbare Verehrerin Jesu wurde, nachdem er sie von einer schweren epileptischen Krankheit geheilt hatte. Unzertrennlich von seiner Seite, weinte sie unter seinem Kreuze, schmückte seinen entseelten Leichnam und war die Erste, die am Ostermorgen zu seinem Grabe eilte und die Kunde von seiner Auferstehung erhielt. Nach einer spätern Sage soll sie an den kais. Hof nach Rom gereist und den Pilatus wegen der Verurtheilung Jesu verklagt haben, hierauf aber in Gallien als Verkündigerin des Christenthums aufgetreten sein. Durch eine Verwechselung mit der Sünderin, die Jesus die Füße salbte, hat sie den Beinamen der Büßenden erhalten, unter welchem sie auch von der Kunst ist verherrlicht worden. Endlich Maria, des Kleophas Frau, Mutter des jüngern Jakobus und Schwester der Mutter Jesu, und Maria Salome, Mutter des ältern Jakobus und des Johannes, auch häufige Begleiterin Jesu, bei seinem Tode und seinem Begräbniß gegenwärtig und gleichfalls Zeugin seiner Auferstehung.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 52-54.
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