Reichstadt

[661] Reichstadt (Napoleon Franz Joseph Karl, Herzog von), wurde am 20. März 1811 zu Paris als Sohn des franz. Kaisers Napoleon (s. Bonaparte) und seiner Gemahlin Maria Luise von Östreich geboren, und bei der Geburt zum König von Rom ernannt. Die glänzenden Aussichten dieses franz. Kronprinzen wurden jedoch durch die von den Ereignissen 1814 herbeigeführte Thronentsagung seines Vaters sehr beschränkt, indem er nur als Erbprinz von Parma anerkannt wurde. Als Napoleon 1815 von Elba zurückkam, befand sich sein Sohn in Schönbrunn bei Wien unter der Aufsicht der aus Frankreich mitgebrachten Gräfin Montesquieu, und der Sohn derselben hatte die Entführung des Prinzen nach Frankreich eingeleitet, die jedoch im Augenblicke der Ausführung am 19. März 1815 vereitelt wurde. Man brachte hierauf den Prinzen in die kais. Hofburg nach Wien und ließ ihn von Deutschen beaufsichtigen, zu Ende Mai aber ward er seiner Mutter wieder überlassen. Als diese sich dann nach Parma begab, mußte er in Wien zurückbleiben und sein Großvater. Kaiser Franz I., ernannte nun Matthäus, Edlen von Collin, Professor der Geschichte der Philosophie in Wien, und auch als Dichter und Schriftsteller bekannt, gest. 1824, einen jüngern Bruder des 1811 verstorbenen Dichters Heinr. Jos. von Collin, zu seinem Lehrer, und den Grafen Moritz Dietrichstein zum Oberhofmeister. Als 1817 die Erbfolge in Parma (s.d.) für den Prinzen verloren gegangen war, erhob der Kaiser die seinem Enkel verliehene Allodialherrschaft Reichstadt im bunzlauer Kreise des Königreichs Böhmen zu einem Herzogthume und gab ihm am 22. Jul. 1818 Titel und Wappen eines Herzogs von R. nebst dem Prädicat Durchlaucht, sowie den Rang unmittelbar nach den Erzherzogen. Das Herzogthum bestand aus 14 ehemals toscan. Gütern, die 400,000 Gldn. Einkünfte gewährten, und zwar dem Kaiser Franz I. erst nach dem Tode des Großherzogs von Toscana, Ferdinand III., gest. 1824, zusammen sollten, allein durch Familienvertrag schon vorher abgetreten wurden. Der Hauptort desselben, das Städtchen Reichstadt mit 1400 Einw., liegt nördl. von Prag, ist schlecht gebaut und hat ein großes, aber nicht unterhaltenes Schloß mit einem weitläufigen Park. Was die Erziehung des Herzogs anlangt, so war sie im Allgemeinen darauf berechnet, etwaigen Hoffnungen politischer Parteien keine Nahrung zu geben und ihn von dem Einflusse derselben fern zu halten. Im zwölften Jahre wurde er zum Fähnrich ernannt, stand 1830 als Major mit seinem Regimente in Prag, ward aber bald wieder nach Wien berufen und zum Oberstlieutenant befördert, starb jedoch am 22. Jul. 1832 an der Schwindsucht und wurde in der kais. Familiengruft beigesetzt. Sein Herzogthum fiel vorbehaltenermaßen an Östreich zurück.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 661.
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