Schuld

[112] Schuld im juristischen Sinne, lat. culpa, nennt man jede absichtslose Veranlassung von Schaden an der Person oder den Sachen eines Andern. Sie wird der absichtlichen Verletzung, dem dolus, entgegengesetzt. Die Lehre von der culpa und dem dolus, welche in so viele Rechtsverhältnisse eingreift, ist von dem röm. Rechte mit besonderer Sorgfalt ausgebildet worden, und die Grundsätze desselben kommen noch täglich bei Rechtsstreitigkeiten zur Anwendung. Darüber, daß jeder absichtlich zugefügte Schade aufs vollständigste zu ersetzen ist, herrscht kein Zweifel. Dagegen ist Niemand verpflichtet, Schaden von einem Andern abzuwenden, wenn er nicht in besondern Contractsverhältnissen mit ihm steht. Hat Jemand aber die Besorgung fremder Geschäfte übernommen, so ist er nicht nur verbunden, allen Schaden zu ersetzen, der durch grobe Fahrlässigkeit (culpa lata, welche dem dolus ganz gleich steht) von seiner Seite veranlaßt wird, sondern er muß in vielen Fällen auch noch einen höhern Grad von Sorgfalt anwenden. Ist dieser Grad in dem Vertrage nicht näher bestimmt, so muß die Natur des Geschäfts und die wahrscheinliche Absicht der Interessenten die Entscheidungsnorm abgeben. Es gelten darüber folgende Grundsätze: 1) Wer von einem fremden Geschäft selbst Vortheil hat, der muß den nöthigen und gewöhnlichen Fleiß auf die Besorgung desselben verwenden, diejenige Sorgfalt, welche ein guter Hausvater in der Regel seinen Geschäften widmet. Einen Verstoß gegen diese Pflicht nennt man ein geringes Verschulden (culpa levis), und der Schuldige muß allen dadurch verursachten Schaden ersetzen. Wer sich der Besorgung fremder Angelegenheiten unterzieht, ohne dazu aufgefodert oder verpflichtet zu sein, oder wer ein Geschäft, wozu besondere Kunstkenntniß erfodert wird, gegen Belohnung übernimmt, muß die größte Sorgfalt anwenden und selbst für das geringste Versehen (culpa levissima) haften. Wer sich dagegen einem fremden Geschäfte, dem sich Niemand unterziehen will, in der guten Absicht widmet, um von dem Eigenthümer Schaden abzuwenden, braucht blos für den Grad der Sorgfalt zu stehen, den er in seinen eignen Angelegenheiten anzuwenden pflegt. Über eine andere Bedeutung des Wortes Schuld s. Darlehn.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 112.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien: