Sièyes

[192] Sièyes (Emanuel Jos., Graf von) spielte in der ersten franz. Revolution eine bedeutende Rolle. Er war 1748 zu Fréjus geboren, wurde Generalvicar des Bischofs von Chartres und 1789 zum Abgeordneten des dritten Standes von Paris bei den Generalständen gewählt. Er war es, der, gestützt auf die Gunst des Volkes, den Antrag machte, die Kammer der Abgeordneten des dritten Standes zur Würde der Nationalversammlung zu erheben, und der dadurch die Revolution entschied. Obschon er selten als Redner auftrat, weil er hierzu nicht Talent zu besitzen glaubte, so war er doch überaus thätig und einflußreich. Er wurde 1791 zum Mitgliede des Departements von Paris gewählt, und die Wahlversammlung trug ihm das Bisthum von Paris an, welches er jedoch ausschlug. Es war seine Überzeugung, daß die monarchische Regierung geeigneter als die republikanische sei, eine wahre und gesetzmäßige Freiheit aufrecht zu halten, er konnte aber in dieser Beziehung den Strom der Begebenheiten nicht aufhalten. Als Mitglied des Convents zog er sich in den Hintergrund. Bei Gelegenheit der Verurtheilung des Königs Ludwig XVI. suchte er zu beweisen, daß es der gesetzgebenden Gewalt nicht zustehe, auch als richterliche aufzutreten, schloß sich aber nachher Denen an, welche über Ludwig XVI. das Todesurtheil aussprachen. Den Greueln der Schreckensregierung wagte er nicht sich entgegenzustellen, doch sprach er 1795 in einer Rede seinen Abscheu gegen Robespierre's Schandthaten aus. Er kam darauf in den Wohlfahrtsausschuß und war als Gesandter in Holland und in Berlin, bis er 1799 Mitglied des Directoriums wurde. In Folge der von ihm eingeleiteten Umwälzung vom 18. Brumaire wurde er nebst Bonaparte und Roger Ducos provisorisch zum Consul ernannt. Als die neue Verfassung eingeführt wurde, ward S. Mitglied des Senats. Nach Napoleon's erstem Rücktritt zog er sich zurück, der zurückgekehrte Napoleon rief ihn in die Pairskammer. Als die Bourbons abermals zurückgekehrt waren, wurde S. wie die Übrigen, welche für den Tod Ludwig XVI. gestimmt hatten, aus Frankreich verwiesen. Er begab sich nach Brüssel und kehrte erst nach der Julirevolution 1830 nach Paris zurück, wo er bis zu seinem Tode 1836 in tiefer Zurückgezogenheit lebte.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 192.
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