Waldemar

[643] Waldemar (der falsche), eine bisher noch nicht aufgeklärte Erscheinung in der brandenburg. Geschichte, war ein bejahrter Mann, welcher 1345 plötzlich in den brandenburg. und angrenzenden Ländern als der 1319 zu Bärwalde verstorbene Markgraf Waldemar I. auftrat. Dieser war um 1305 zur Regierung gekommen, hatte sich mit seiner Cousine Agnes, deren Vormund er zugleich war, 1311 vermählt, bestand als ein kriegerischer Fürst zahlreiche Fehden mit Sachsen, Dänemark, Polen, Mecklenburg, den Städten Rostock, Stralsund, Magdeburg u.a., starb 1319 zu Bärwalde und ward im Kloster Chorin begraben. Mit ihm und seines Bruders unmündigem, 1320 ebenfalls verstorbenen Sohne Heinrich dem Kinde, erlosch der askanische Stamm in Brandenburg und verwandte wie benachbarte Fürsten machten auf das Erbe Anspruch und rissen Theile davon an sich. Kaiser Ludwig der Baier erklärte jedoch Brandenburg für ein eröffnetes Reichslehn und belieh damit seinen Sohn Ludwig, welcher nun mit jenen Fürsten, sowie im Interesse seines Vaters, eine Menge Kriege zu führen hatte, und endlich durch den Gegenkaiser Karl IV. sehr ins Gedränge kam. Um diese Zeit gerade erschien der sogenannte falsche W., welcher vorgab, er habe sich todt gestellt und einen fremden Leichnam in seinem Namen begraben lassen, um der nahen Verwandtschaft wegen die Ehe mit seiner Cousine zu lösen. Er sei dann zum h. Grabe und in fremde Lande gezogen, bis er den Tod seiner Gemahlin und die Zerrüttung vernommen, in welche seine Länder gerathen wären, wo er nun Ruhe und Ordnung herzustellen komme. Unverkennbare Ähnlichkeit mit W. I. und der echte Siegelring desselben brachten bald ganz Brandenburg und auch die benachbarten [643] Höfe auf seine Seite, und als Kaiser Karl IV. 1348 nach Brandenburg kam, bezeugten mehre Fürsten und Grafen, der wahre W. sei wiedergekehrt, worauf der Kaiser ihm von neuem die brandenburg. Länder zu Lehen gab. Darauf stand er ungestört der Regierung vor, als sich aber Karl IV. bald nachher mit Ludwig von Baiern versöhnte und ihm die Zurückgabe der Mark Brandenburg versprochen hatte, ließ er 1350 W. vor den Reichstag nach Nürnberg laden zu weiterer Verantwortung. Dieser erschien aber nicht, ward deshalb seiner Lande wieder verlustig erklärt, auf die er endlich 1351 in Dessau, wo er eine Freistatt gefunden hatte, verzichtete. Von den zahlreichen Vermuthungen über den falschen W. scheinen die meisten dafür zu sprechen, daß Karl IV., im Einverständniß mit Anhalt und Sachsen, diesen die brandenburg. Länder, nachdem sie für Ludwig von Baiern durch des angeblichen Markgrafen Rückkehr verloren worden, nach dessen kinderlosem Tode habe zuwenden wollen. Die Versöhnung mit Ludwig mag seine Gesinnungen geändert und ihn vermocht haben, den Betrug rückgängig zu machen. Genug, W. wurde in Dessau bis an seinen 1356 erfolgten Tod mit allen Ehren eines brandenburg. Markgrafen behandelt. Die Meinungen seiner Gegner vereinigen sich, ihn für einen Knappen des verstorbenen W. I. zu erklären; weiter aber geben ihn Einige für einen Bäckergesellen Mänicke aus Belitz, Andere für einen Müllerburschen Jakob Rehbock von Hundelust aus.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 643-644.
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