Wiclef

[708] Wiclef oder Wicliffe (Johann), einer der berühmtesten Vorläufer Luther's und der Kirchenreformation, wurde 1324 im Dorfe Wicliffe in der engl. Grafschaft York geboren und widmete sich an der Universität Oxford mit ebenso viel Fleiß wie Befähigung der Rechtswissenschaft und der Theologie. Insbesondere forschte er in der Bibel und in den Kirchenvätern und trat seit 1356 schon wider die Anmaßung und uncelaubten Mittel auf, mit welche die Ordensgeistlichkeit und namentlich die Bettelmönche die Stellen an den Universitäten beanspruchten und zu erhalten trachteten. Seine Vertheidigung der Rechte der Universität Oxford wider die Letztern ward Veranlassung, daß er nach Verwaltung anderer Ämter, 1365 Vorsteher des Canterbury-College daselbst wurde; auch vertheidigte er um dieselbe Zeit die Weigerung König Eduard III., den Peterspfennig (s.d.) länger an den Papst zu entrichten, und gehörte zu den engl. Gesandten, welche deshalb und wegen der vom Papst behaupteten Besetzung geistlicher Pfründen mit päpstl. Bevollmächtigten, in Brügge 1374 für den König unterhandelten. Da W. den König und namentlich den einflußreichen Herzog von Lancaster, John of Gaunt, für sich hatte, war er trotz der von den Mönchen durchgesetzten und vom Papste durch eine besondere Bulle bestätigten Absetzung Professor in Oxford geblieben und 1375 noch zum Kanonicus an der Collegiatkirche zu Westbury und zum Pfarrer in Lutterworth in der Grafschaft Leicester ernannt worden. Darum aber, und weil er immer entschiedener gegen Papstthum und Möncherei auftrat, suchten seine Gegner ihn um so eifriger zu stürzen, verklagten ihn wegen 18 angeblich ketzerischer Lehrsätze beim Papste, und W. mußte sich deshalb 1377 vor einer vom Erzbischof von Canterbury in London veranstalteten [708] geistlichen Versammlung verantworten, wurde aber, da ihn der Herzog von Lancaster persönlich vertheidigen half, freigesprochen. Dies verhinderte jedoch nicht, daß er nach König Eduard III. Tode im Jun. 1378 abermals vor einer Versammlung engl. Geistlicher zur Rechenschaft gezogen, jedoch nur zu Stillschweigen verurtheilt wurde. Da er jedoch nicht aufhörte, zu lehren, was er für wahr und recht erkannt hatte, brachte es die Geistlichkeit bei dem schwachen König Richard II. dahin, daß W. und seine Anhänger widerrufen mußten oder sich Verfolgungen aussetzten, und W. von Oxford verwiesen wurde (1387). Er lebte nun auf seiner Pfarrei Lutterworth, der er gewissenhaft vorstand, und wurde in seiner persönlichen Freiheit vom engl. Unterhause geschützt. Vergeblich lud ihn Papst Urban VI. 1383 nach Rom, W. benutzte vielmehr seine freie Zeit zur Vollendung einer Bibelübersetzung und Abfassung seines »Trialogus«, welches Werk seine wichtigsten Behauptungen enthält. Er stellt darin die h. Schrift über die päpstliche Autorität und die Überlieferung, gibt im Abendmahle nur eine geistige Gegenwart zu und verneint, daß die Messe von Christus eingesetzt sei. Er erklärte sich ferner wider den Ablaß, die Wallfahrten, den Heiligendienst, den Cölibat, die lat. Kirchensprache, und stellte aufrichtige Reue höher als Ohrenbeichte und Bußwerke. Sein unbescholtener Lebenswandel unterstützte das Ansehen seiner Lehren, welche nach seinem 1384 erfolgten Tode bei seinen zahlreichen Anhängern treu bewahrt wurden, obgleich es nicht an Verfolgungen gegen dieselben fehlte und W.'s Schriften öffentlich verbrannt wurden, ja seine Gebeine selbst auf Befehl der kostnitzer Kirchenversammlung 1428 von Richard Flemyng, Bischof von Lincoln, aus dem Grabe gerissen und verbrannt wurden. Einflußreicher noch als in England wirkten W.'s auch nach Deutschland verbreitete Lehren, indem sie hier den Reformator Joh. Huß (s.d.) zur Bekämpfung des Papstthums begeisterten.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 4. Leipzig 1841., S. 708-709.
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