England (Moden)

[436] England (Moden). (Moden) Die englischen Moden haben trotz dem, daß sie wie die deutschen den französischen nachgebildet werden, Eigenthümlichkeiten, welche ihre Erklärung in dem Charakter des englischen Volks und der englischen Gesellschaft finden. Denn die Mode ist der Schatten des Nationalcharakters selbst. Diejenigen, welche den Moden zu folgen pflegen, sind natürlich nur in der Adelsaristokratie, die in England theils wegen der hohen Besoldungen der Staatsbeamten, theils wegen des großen Grundbesitzes bedeutenden Aufwand machen kann, und in der Geldaristokratie zu suchen, welche in dem Insellande mächtiger ist, als irgendwo, und stets mit dem Adel in Pracht und Glanz wetteifert Da hier besonders Reichthum Ansehen gibt, so sucht Jedermann diesen zur Schau zu tragen. Man zeigt sein Vermögen in glänzenden Gesellschaften (Routs, s. d.), in kostbaren Tafelgeschirren, prächtigen Equipagen, reichen Kleidern etc. Nirgends findet man so viel Luxus in diesen[436] Artikeln, als in England. Kostbare Silberservice, Vergoldungen, Bronzen, Gemälde etc. trifft man in allen respectablen Familien, wie man sie nennt. Die Damen kleiden sich in die theuersten Zeuge. Leider fehlt es den Engländerinnen bei der Wahl der Kleidermoden an einem Haupterforderniß. Wie sie keine Ahnung haben von der Harmonie der Töne, so fehlt es ihnen auch ganz an einem Gefühl für die Harmonie der Farben. Zeisiggrün und Ponceau, Gelb und Roth bringen sie häufig zusammen, wie sie überhaupt die Schönheit in der hellen Farbe und in der Zusammenstellung mehrerer derselben zu finden meinen. Diesen Mangel an Schönheitssinn gewahrt man an der Kleidung, sowohl der Damen als der Herren, er ist aber nicht der einzige, welcher die englischen Moden charakterisirt; sie leiden zudem auch an Ueberladung. Keine Pariserin, keine Wienerin wird sich kleiden wie eine Engländerin, die ihre Toilette mit Blonden, Spitzen, Bändern, Juwelen, Gold- und Silberstickereien wahrhaft belastet, namentlich an Gallatagen bei Hofe, wo die Damen noch durchaus in Schleppkleidern erscheinen müssen. Auffällig ist ferner der Mangel an Geschmack und Kunst in der Anordnung des Kopfputzes! Wie nett, kokett und zierlich sehen die Coiffuren der Pariserinnen aus, gegen die schmachtenden, sentimentalen, langen Ringellocken oder glatten Haarstreifen der Engländerinnen! Dagegen haben die letztern den Vorzug, daß ihr Schmuck und Alles an ihnen echt ist, während sich keine Pariserin bedenken wird, unechten Schmuck zu tragen, da diese Kleinigkeiten ihrer Schönheit ja nur zur Folie dienen sollen, während die Engländerin bisweilen dem Schmuck zur Folie dient und ihre respectable Familie in Mißcredit zu bringen befürchten muß, wenn sie irgend einen Scheinschmuck an sich trüge. Die Verfertigerinnen von Damenputz in England stehen den kunstfertigen Pariserinnen und selbst den geschickten Deutschen weit nach. Sie wissen ihren Arbeiten nie die gehörige Grazie zu geben. Dagegen sind die englischen Kleidermacher für Herren ausgezeichnet in[437] ihrer Art, und dienen häufig den französischen als Muster. Sie betreiben ihr Geschäft wissenschaftlich und mathematisch. Es werden in London fortwährend Vorlesungen über die Kunst des Zuschnittes gehalten und die vorzüglich berühmten Kleidermacher bilden ordentliche Schneiderakademien, wo neue Erfindungen besprochen, geprüft und nach Befinden angenommen werden.

D. D–n.

Quelle:
Damen Conversations Lexikon, Band 3. [o.O.] 1835, S. 436-438.
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