Abfallstoffe [1]

[12] Abfallstoffe, die Abfallprodukte des menschlichen Haushalts: Abwässer der Küchen, Waschküchen, Badeanstalten, Hauskehricht, Straßenkehricht, seite und flüssige Exkremente der Menschen und der Haustiere, ferner Tierkadaver und seite Abgänge aus Fabriken, Schlachthäusern, Abwässer aus gewerblichen Betrieben und Fabriken, endlich auch Regenwasser von den Dächern der Häuser und Schnee, deren Beseitigung sich namentlich für die Großstädte sehr kostspielig gestaltet. Bei der chemischen und technischen Produktion bilden die Abfallstoffe denjenigen Teil der Rohstoffe und Halbfabrikate, der eine Folge, aber nicht der Zweck der Fabrikation ist. Es ist daher Aufgabe einer jeden rationellen Industrie, die Entstehung von Abfällen auf ein möglichst geringes Maß zu beschränken, des weiteren die Abfallstoffe in möglichst nutzbringender Weise zu verwerten. Oft genug hängt von der richtigen Ausnutzung der Abfälle nicht allein die Rentabilität eines Unternehmens ab, sondern dies wird überhaupt nur durch eine zweckmäßige Verarbeitung der Abfallstoffe ermöglicht. Die Abfallstoffe machen oft einen sehr beträchtlichen Teil des Rohstoffes aus.

Man erhält beispielsweise aus 100 kg Roheisen durchschnittlich nur 70–80 kg Stabeisen, aus 100 kg Stahldraht nur 60 kg Nähnadeln, aus 100 kg Stabeisen nur 45–60 kg Blech, aus 1 cbm Holz häufig nur 0,5 cbm Furniere. Es erfordern ferner im Durchschnitt 100 kg Papier 145 kg Lumpen, 100 kg Wolle 250 kg Rohwolle, 100 kg Flachs sogar 800 kg roher Leinstengel. Dadurch, daß man die unvermeidlichen Abfälle in den Kreis der Fabrikationsprozesse zurückführt, verringert sich indes jener Materialverlust in der Regel sehr erheblich. In der Eisenindustrie z.B. bestehen die Abfälle zunächst aus Schlacke, Hammerschlag etc., deren hoher Eisengehalt (bis 70%) die Wiederverwendung im Roheisenprozeß ermöglicht, falls die diesem nachteiligen Substanzen (Phosphor, Schwefel) nicht zu sehr vorwiegen. Sodann bestehen die Abfälle aus etwa 15% Ausschuß und Enden, die mit ihrem vollen Gewicht wiederum in den Fabrikationsprozeß zurückkehren. Es verringert sich auf diese Weise der Verlust durch Abfälle fast um die Hälfte. Aus Kohlengries werden Briketts gemacht, extrahierte Farbhölzer und Sägemehl werden ebenfalls als Briketts zur Heizung verwendet. – Viele Abfallstoffe, hier besser Nebenprodukte genannt, bilden gegenwärtig das Rohmaterial für selbständige und sehr wichtige Industriezweige [1], [2], so z.B. die Abfälle der Gasfabriken und Kokereien, aus denen Ammoniak, Benzol, Karbolsäure, Naphthalin und Anthracen gewonnen werden, die ihrerseits die Ausgangsmaterialien für die Darstellung der prachtvollen Teerfarbstoffe bilden. – Als weitere wichtige Abfallstoffe sind zu nennen: 1. Die Abbrände der auch in Deutschland viel verarbeiteten spanischen Pyrite, die auf Kupfer, Silber und Eisen verarbeitet werden. 2. Die Schlacken der Eisenhochöfen, die zum Teil in Form von Schlackensand zur Herstellung künstlicher Bausteine, zum Teil auch in sein zerteiltem Zustande als sogenannte Schlackenwolle eine ausgedehnte Verwendung als billiges Isoliermittel finden. 3. Die aus Hüttenwerken, Affinierwerkstätten, Ultramarinfabriken u.s.w. entweichende schweflige Säure (Hüttenrauch, s.d.), aus der jetzt ganz allgemein Schwefelsäure dargestellt wird. 4. Die Abfallstoffe der Gerbereien und Schlächtereien, von denen einzelne auf Leim, Knochenkohle, Albumin, Dünger u.s.w.[12] verarbeitet werden [2]. 5. Die Abfälle der Bierbrauereien, Branntweinbrennereien und Stärkezuckerfabriken liefern Viehfutter und das Ausgangsmaterial für die Herstellung von Pottasche und andrer chemischer Präparate. 6. Die Abfälle der Wollspinnereien und Tuchfabriken werden zu Shoddy, Filtriermaterial, Düngemitteln etc. verarbeitet. 7. Die Rückstände der Leblancsodafabrikation, die im wesentlichen aus einem Gemenge von Schwefelcalcium mit Kalk bestehen. Während diese massenhaft abfallenden Rückstände früher unbenutzt blieben und als mächtige Halden die Quelle zahlloser Belästigungen bildeten, werden sie heute meistens nach dem Chance-Clausschen Verfahren auf Schwefel verarbeitet. Hierdurch ist der Import sizilianischen Schwefels erheblich gesunken. 8. Die Abfallsäuren (s.d.).

Zur Erleichterung ihrer Verwendung und vorteilhafteren Verwertung sind den Abfällen in Zoll- und Transporttarifen besondere Vergünstigungen eingeräumt. Dagegen gehören fäulnisfähige tierische Abfälle (tierische Häute, Felle, Knochen, Hörner u.s.w.) zu denjenigen Gegenständen, die nur nach Erfüllung bestimmter sanitätspolizeilicher Vorschriften (Desinfektion, Verpackung in geschlossenen, festen Gefäßen) zum Bahntransport zugelassen werden. Bei Auftreten der Rinderpest unterbleibt der Bahntransport frischer tierischer Abfälle. – An der rationellen Behandlung bezw. Entfernung der Abfallstoffe, zumal der menschlichen, hat die öffentliche Gesundheitspflege ein großes Interesse. Arbeiten auf diesem wichtigen Gebiete sind bei allen größeren Stadtverwaltungen im Gang. Auch die obengenannten Abfallstoffe sucht man zu verwerten; bei der Kehrichtverbrennung (s.d.) wird die Wärme ausgenützt, in elektrische Energie übergeführt. In Hamburg werden in der Verbrennungsanstalt die maschinellen Einrichtungen mit der erzeugten Elektrizität betrieben, die Akkumulatoren für das Schleppboot geladen, das der Anstalt die Matratzen der Auswanderungsdampfer (Zwischendeck) zur Verbrennung und einer Desinfektionsanstalt die Fäkalientönnchen von den im Hafen liegenden Schiffen zuführt. Die Verbrennungsrückstände liefern Schlacken, die zu Beton (Konkret), als Beschotterungsmaterial, ja sogar als Filtermaterial bei dem biologischchemischen Städteabwasserreinigungsverfahren benutzt werden. Die brikettierten Rückstände vom Degenerschen Kohlebreiverfahren dienen als Brennmaterial. Sie können auch vergast werden, ebenso der Hauskehricht, doch gibt letzterer ein weniger brauchbares Gas. Ueber Vergasungsversuche mit städtischen Abfallstoffen gibt folgende Tabelle [3] Aufschluß:


Abfallstoffe [1]

Ferner sind Versuche im Gang, den Schlamm aus den biologischchemischen Abwasserreinigungsanstalten in irgend einer Weise fortzuschaffen bezw. zu verwerten. Der Schlammanfall in zurzeit eine lästige Begleiterscheinung dieser Anlagen, und es hängt häufig von der Möglichkeit einer glatten Beseitigung des Schlammes der Entscheid über die Errichtung solcher Anstalten ab. Auch die tierischen Kadaver und Abfälle werden in besonderen Anlagen beseitigt, eventuell zu Düngemitteln und andern Produkten verarbeitet. Vergl. Abfuhr, Fäkalien, Kanalwässer.


Literatur: [1] Süßengluth, Industrie der Abfallstoffe, Leipzig 1879; Koller, Industrie der Abfallstoffe, Leipzig 1880. – [2] Fleck, Die Fabrikation chemischer Produkte aus tierischen Abfällen, 2. Aufl., Braunschweig 1880. – Possart, Die Verwertung der Abfallstoffe aus den Tuchfabriken etc., Berlin 1879. – [3] Bujard, Dinglers Polyt. Journal 1900, Heft 29; Zeitschrift für angewandte Chemie 1901, S. 1290; Vogel, Verwertung städt. Abfallstoffe, 1896.

Bujard.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1904., S. 12-13.
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