Verschlüsse der Geschütze [1]

[781] Verschlüsse der Geschütze. Anfang der 1890er Jahre beseitigte der Gebrauch von Metallkartuschen (Bd. 6, S. 540) die Schwierigkeit des gasdichten Abschlusses; für Neukonstruktionen wurde seither die Erleichterung und Beschleunigung der Bedienung der Geschützverschlüsse leitender Gesichtspunkt. Von einem neuzeitigen Schnellfeuerverschluß fordert man: Sichere Verbindung des geschlossenen Verschlusses mit dem Rohr (Verriegelung); im Verein mit der Patronenhülse gasdichten Abschluß des Seelenbodens (Liderung, Gaschek); leichte und schnelle Bedienung (nur je ein Griff zum Oeffnen bezw. Schließen); Sicherheit gegen selbsttätiges Abfeuern (Fahrsicherung) und gegen Abfeuern vor beendigtem Schließen (Schußsicherung);[781] »Wiederspannabzug«, welcher das Schloß erst beim Abziehen spannt, beim weiteren Abziehen auslöst und im Fall von Versagern sofortiges Wiederabziehen gestattet; Nachbrennerschutz, wenn das verwendete Pulver schwer entzündlich ist, um im Falle zu später Explosion der Ladung ein vorzeitiges Oeffnen des Verschlusses zu verhindern; Haltbarkeit und Einfachheit in der Zusammensetzung, einzelne unbrauchbar gewordene Teile müssen sich schnell ersetzen lassen; geringes Gewicht und geringe Abmessungen. Das letztere, um die »tote Rohrlänge«, d.h. das für den Schuß nicht unmittelbar nutzbringende Längenmaß des Rohres zu verringern.

Keilverschlüsse. Ein Keil, welcher zum Oeffnen bezw. Schließen entweder in wagerechter oder in senkrechter Bahn gleitet, verschließt das Rohr.

Von den Verschlüssen mit wagerechter Gleitbahn haben der Kruppsche Leitwell- und der Erhardtsche Schubkurbelverschluß die größte Verbreitung gefunden. Bei ersterem (Fig. 1) wird der Keil A mittels der Leitwelle B, welche in die bei T befindliche Hälfte einer Schraubenmutter greift, heraus- bezw. hineingeschoben. Der Handgriff B1 dient zum Drehen von B; zum Oeffnen bezw. Schließen genügt etwa drei Viertel Umdrehung. O = Fahrsicherung, K = Abzughebel. – Verriegelung durch einen Riegelbund an der Leitwelle B, der am Ende der Schließbewegung in einen Ausschnitt des Rohres tritt. Beim Oeffnen gibt er als erstes den Keil wieder frei. – Beim Schubkurbelverschluß – auch Gleithebelverschluß genannt – (Fig. 2) wird der Keil durch die Schubkurbel Sk bewegt. Sie schwingt um den im Rohr befestigten Kurbelbolzen kb. An dem kürzeren Arm des Winkelhebels Sk befindet sich das Gleitstück g; das in der schräg nach vorn und außen führenden Nut nt läuft. Wird der Handgriff hg zurückgezogen, um etwa 130°, so schiebt Sk, indem g nach vorn und außen und dann wieder zurück wirkt, den Keil heraus. Die Verriegelung erfolgt dadurch, daß g beim Schließen bis in eine Rast der hinteren Keillochfläche tritt. Vielfach wird noch eine zweite Verriegelung durch eine Sperrklinke im Handgriff angewendet. Diese klinkt bei geschlossenem Verschluß in eine Aussparung des Rohres, beim Oeffnen wird sie durch Erfassen des Handgriffs ausgelöst. – Die Kruppsche Konstruktion eines Schubkurbelverschlusses hat einige Besonderheiten. Die Nut in der oberen Keilfläche verläuft in ihrem hinteren Teil zunächst als Kreisring um den Mittelpunkt von kb. An Stelle von g ist ein herzförmiger Zapfen angebracht. Befindet sich dieser in dem Kreisteil von nt (Schußstellung), so ist der Verschluß verriegelt, denn alle Kräfte, welche auf selbsttätiges Oeffnen des Verschlusses wirken, können nur einen radialen Druck ohne Seitenkraft ausüben.

Anordnung und Wirkungsweise des Auswerfers gleichen sich bei diesen Verschlüssen. Der Auswerfer, ein doppelter zweiarmiger Hebel, ruht mittels einer zylindrischen Wulst drehbar zwischen vorderer Keillochfläche und Keil. Die beiden längeren Hebelarme greifen unter den Bodenrand der Patrone. Beim Oeffnen flößt der Verschlußkeil mit einem Anschlagstück gegen eine Nase, welche den kurzen Hebelarm des Auswerfers bildet. Der Anstoß bewegt die längeren Arme nach rückwärts, die Hülse wird ausgeworfen. Auch das Schloß zeigt viel Uebereinstimmendes; es ist bei allen dreien mit Wiederspannabzug ausgestattet [2] (Fig. 3). – Wird der Abzughebel L zurückgezogen, so flößt er mit der Nase k seiner Spannuß die Nase i der Spannfalle so weit vor, daß der längere Arm des gelenkig mit der Spannfalle verbundenen Spannhebels J den Schlagbolzen E zurückdrückt. Sobald die Schlagfeder F die höchste Spannung erreicht, gleitet k von i ab, J wird frei und F schnellt E und J nach vorn. Wird nach dem Abfeuern der Abzug L losgelassen, so führt die gespannte Wiederspannfeder L1 L in die Grundstellung zurück; i klinkt wieder in k ein. Hierdurch wird die Schlagbolzenspitze um 0,5 mm hinter die vordere Keilfläche zurückgezogen; die Anfangsstellung ist somit wieder erreicht. – Diese Wiederspannvorrichtung ist indessen bei den einzelnen Konstruktionen verschieden ausgebildet. Besondere Schuß- und Fahrsicherung ist vorhanden, nach Bedarf wird Linksabzug und Sicherung gegen Nachbrenner angebracht. Diese besteht im wesentlichen aus einem zweiarmigen Hebel, welcher drehbar am Verschluß gelagert ist, ihn mit einem Arm sperrt, mit dem andern nach unten, zur Gleitbahn (Wiege) des Rohres gerichtet ist. Beim Rücklauf des Rohres flößt dieser Arm gegen einen Anschlag an der Wiege, und der obere Arm gibt den Verschluß frei. Nach dem Laden wird beim Schließen die Arretierung des oberen Arms gelöst, und eine Feder läßt ihn wieder in die Sperrstellung eintreten. Auch hier gibt es abweichende Konstruktionen. Bei den Kruppschen Verschlüssen ist eine Vorrichtung vorhanden, durch welche beim Abziehen der etwa nicht völlig geschlossene Verschluß zwangsweise geschlossen und das etwa nicht völlig in die Anfangsstellung zurückgekehrte Schloß beim Oeffnen des Verschlusses zwangsweise in seine Anfangsstellung gebracht wird. – Ein Schubkurbelverschluß mit senkrechter [782] Bewegung des Keils ist der Fallblockverschluß. Schon in den 1880er Jahren von Gruson für Schnellfeuergeschütze kleinen Kalibers verwendet, ist er jetzt auch bei schweren Geschützen Kruppscher Konstruktion in Gebrauch. Bezüglich der Anordnung verweisen wir auf [1], S. 120 ff. Andre Fallblockverschlüsse sind konstruiert von Hotchkiß (Italien, Vereinigte Staaten, England, Frankreich, Rußland u.a.), von v. Skoda (Oesterreich-Ungarn), von Gericke (Niederlande), von Finspong (Schweden) u.a.m.

Senkrechte, umlegbare Keilverschlüsse finden mein; nur bei leichten Schnellfeuerkanonen (3,7–7,5 cm) Anwendung. Ihre Einrichtung kennzeichnet sich dadurch, daß beim Oeffnen entweder der ganze Verschluß oder nur der Hinterteil – Nordenfelt- sich zunächst senkrecht abwärts bewegt und dann um eine wagerechte Welle nach rückwärts umgelegt wird. Solche Verschlüsse sind eingeführt: nach dem System Nordenfelt (Italien, England, Rußland u.a.m.), Driggs-Schröder (Marine der Vereinigten Staaten), Maxim-Nordenfelt (Italien) und Sarmiento (Spanien).

Schraubenverschlüsse. Ein mit Schraubengewinden versehener Block greift in entsprechende Muttergewinde der Rohrwandung ein und schließt dadurch das Rohr nach hinten ab. Um das Einschrauben abzukürzen, sind die Schraubengänge auf der ganzen Länge der beiden Gewindemäntel in einer Anzahl von Längsstreifen fortgeschnitten. Es wechseln demnach glatte und Gewindestreifen ab, und es genügt eine Drehung der Verschlußschraube um eine Streifenbreite, um den Verschluß zu öffnen bezw. zu schließen. Der geöffnete Verschluß wird von einer Verschlußtür aufgenommen, mit ihr gekuppelt und zur Seite gedreht, um das Ladeloch frei zu machen. Um mit einem Griff öffnen bezw. schließen zu können, hat die Verschlußschraube meist Ei- oder Kegelform. Beispiele hierfür sind der Verschluß der schwedischen Kanonenfabrik Bofors (Konstrukteur Silfversparre), [1], S. 89, der von Maxim-Nordenfelt [1], S. 91 ff., und der Finspongverschluß (Kanonenfabrik in Schweden, Konstrukteur Thronsen), [1], S. 95. Abweichend von allen sonst üblichen Konstruktionen ist letzterer so eingerichtet, daß die Schraube nach dem Lösen der Gewindegänge nicht herumgeschwenkt, sondern seitwärts geschoben wird.

Fallschraubenverschlüsse wie der des Röstel, [1], S. 99, sind auf leichte Geschütze beschränkt, weil bei großen Kalibern das Aufwärtsschwingen des Verschlusses unverhältnismäßigen Kraftaufwand erheischen würde. Die Schraube ist bei ihm vorn ei-, hinten walzenförmig gestaltet. Andre abweichende Formen der Verschlußschraube sind: die Elsvirk- (Armstrong, Mitchell & Cie.), Treppen- (D.R.P. Nr. 136544) und die Nemetzschraube.

Kammverschlüsse unterscheiden sich von den vorhergehenden im wesentlichen nur dadurch, daß die Reisen (Kämme), mit denen der Block im Verschlußlager verriegelt wird, nicht Teile von Gewindegängen bilden, sondern ohne Steigung gleichlaufend zu den Grundflächen des Blocks geführt sind. Man erspart infolgedessen den Kraftaufwand, den das letzte Anziehen der Schraube bedingt. Dieses Anziehen ist bei Verwendung selbstlidernder Metallkartuschen überflüssig. Man beugt durch die Kammform aber auch einer selbsttätigen Lockerung oder Lösung des Verschlusses vor, welche bei Schraubenverschlüssen mit großer Steigung der Gewindegänge eintreten kann (Ehrhardts Kammverschluß, 1902).

Abarten der Schrauben- bezw. Kammverschlüsse sind der Stufenschraubenverschluß von Axel Welin und der Stufenverschluß der Gußstahlfabrik Friedr. Krupp (Fig. 4). Bei letzterem trägt der Mantel des Verschlußblocks A zweimal vier abgestufte Streifen, von denen je zwei einander gegenüberliegende gleichen Durchmesser haben. Das eine Streifenpaar ist glatt, die übrigen sind ohne Schraubensteigung gereifelt. Der Radius jedes gereifelten Streifens übertrifft den des vorhergehenden um Reifenhöhe. Entsprechend ist die Anordnung im Rohr. Es werden demnach sechs Achtel des Blockumfangs für die Verriegelung ausgenutzt, so daß der Verschlußkegel kurz gehalten werden kann.

Exzentrische Schraubenverschlüsse (Fig. 5). Das Bodenstück des Rohres ist nach unten erweitert. Die Verschlußschraube bleibt auch bei geöffnetem Verschluß im Rohr. Sie besteht aus einem massiven Teil, welcher das Schloß aufnimmt und den Seelenboden bildet, und dem Ladeloch. Die Schraubengewinde des Verschlußblocks und des Rohres führen um den ganzen Umfang. Die Drehachse des Verschlusses liegt etwas unterhalb der Seelenachse. Dadurch, daß der Schlagbolzen erst bei völlig geschlossenem Verschluß hinter das Zündhütchen der Patrone tritt, ist Sicherheit gegen vorzeitiges Abfeuern gegeben. – Exzentrische Schraubenverschlüsse sind von Nordenfelt und von Krupp konstruiert. Die französische Feldkanone 97[783] und die norwegische Feldkanone 01 sind mit derartigen Verschlüssen ausgestattet. – Von allen diesen Konstruktionen weicht in seiner gesamten Anordnung der Canetsche Kugelverschluß ab (Fig. 7). Der Verschlußblock A gleicht einer aus der Mitte einer Halbkugel herausgeschnittenen Platte. Ihre Stärke übertrifft ein wenig die Seelenweite des Rohres im Ladungsraum. Bei geschlossenem Verschluß (Fig. 7) liegt die Kugelfläche des Blocks vorn Die Patronen müssen deshalb einen gewölbten Boden haben. Zum Oeffnen genügt eine Vierteldrehung des rechts befindlichen Kurbelarms nach unten. Die Hinterfläche des Blocks befindet sich dann oben in wagerechter Lage und bildet die Grundfläche des Ladelochs. Auch die Schraubenverschlüsse und ihre Abarten sind mit Wiederspannabzug, Auswerfer, Nachbrennerschutz sowie Fahr- und Schußsicherungen versehen. Ueber Vor- und Nachteile der verschiedenen Verschlußarten s. [1], S. 125 ff., [2], Bd. 1, S. 63/64, [3], S. 84 ff.

Selbsttätige Verschlüsse gewinnen neuerdings an Boden. Sie sind in der Regel als wagerechte oder senkrechte Keilverschlüsse mit Schubkurbel- bezw. als selbsttätige Schraubenverschlüsse mit Stufenschraube gebaut. Die Bedienung kann auch von Hand erfolgen; das Abfeuern erfolgt nach Wahl selbsttätig oder von Hand. Das selbsttätige Oeffnen geschieht z.B. dadurch, daß beim Wiedervorlauf des Rohres die Verschlußkurbel durch ein Anschlagstück an der Wiege zum Oeffnen gedreht wird. Hierbei wird eine Feder, welche bestrebt ist, die Kurbel in Schlußstellung zu drehen, gespannt. Ein Sperrbolzen verhindert die Kurbel, dem Druck der Schließfeder nachzugeben, bis der Auswerfer, welcher mit dem Sperrbolzen in Verbindung gebracht ist, beim Einführen einer neuen Patrone nach vorn gedreht wird und dadurch den Sperrbolzen aushebt. Das Abfeuern erfolgt im letzten Augenblick des Schließens selbsttätig. – Bei andern selbsttätigen Verschlüssen erfolgt das Oeffnen durch eine besondere Oeffnungsfeder oder durch eine Zugstange. – Anwendung finden selbsttätige Verschlüsse bei Neukonstruktionen von Feld- und Gebirgsgeschützen sowohl bei Krupp als auch bei Ehrhardt. Die französische 15,5-cm-Rimailho-Haubitze besitzt einen Schraubenverschluß, der sich nach jedem Schuß selbsttätig öffnet. – Weiteres über Geschützverschlüsse s. in [4]–[6].


Literatur: [1] Wille, R., Waffenlehre, 3. Aufl., Bd. 2, Berlin 1905. – [2] Roskoten, Die heutige Feldartillerie, Berlin 1909. – [3] Mummenhoff, Die modernen Geschütze der Fußartillerie, Leipzig 1907. – [4] Wille, R., Die Entwicklung der Verschlüsse für Kanonen, Berlin 1903. – [5] Castner, Schraubenverschluß und Keilverschluß (deutsche und französische Ansichten), Schiffbau 1907, Nr. 19/20. – [6] Auf dem Wege zum halbautomatischen Geschütz, Deutsches Offizierblatt 1907, Nr. 11, S. 171.

F. Wille.

Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 1., Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 3.
Fig. 4.
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 5.
Fig. 6.
Fig. 6.
Fig. 7.
Fig. 7.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 8 Stuttgart, Leipzig 1910., S. 781-784.
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