Anonȳm

[551] Anonȳm (griech., »namenlos«), von Schriftstücken (z. B. Briefen) oder gedruckten Aufsätzen und Werken, deren Verfasser sich nicht genannt hat, daher dieser selbst Anonymus heißt. Für manche Fächer der Literatur, namentlich für das politisch-journalistische, ist die Anonymität Regel; doch sind in neuerer Zeit von verschiedenen Regierungen Maßregeln getroffen worden, sie zu beschränken oder aufzuheben, wie z. B. in Frankreich durch Gesetz vom 16. Juli 1850, das sie für Artikel politischen, philosophischen und religiösen Inhalts untersagte. Auch hat die literarische Sitte selbst in neuester Zeit die Anonymität eingeschränkt. Sowohl bei anonymen wie bei pseudonymen Werken ist der Herausgeber, falls aber ein solcher nicht angegeben ist, der Verleger berechtigt, die Rechte des Urhebers wahrzunehmen (ebenso die Berner Übereineinkunft [s. d.] in Art. 11, Abs. 2). Ist der wahre Name des Urhebers nicht bei der ersten Veröffentlichung angegeben worden, so endigt der Schutz des Urheberrechts mit dem Ablauf von 30 Jahren seit der Veröffentlichung. Wird jedoch der Name binnen dieser Frist (z. B. bei einem Neudruck oder einer Neuaufführung) ordnungsmäßig angegeben oder von dem Berechtigten zur Eintragung in die bei dem Stadtrate zu Leipzig geführte Eintragsrolle angemeldet, so endigt der Schutz des Urheberrechts erst, wenn seit dem Tode des Urhebers 30 Jahre und außerdem seit der ersten Veröffentlichung des Werkes 10 Jahre abgelaufen sind (Urheberrechtsgesetz von 1901, § 7, 31). S. Urheberrecht. – Die Kenntnis der anonymen und pseudonymen (mit falschem Namen gezeichneten; s. Pseudonym) Schriften macht einen eignen Zweig der Bibliographie aus. Die wichtigsten Nachweise für Deutschland bieten: Weller, Index pseudonymorum. Wörterbuch der Pseudonymen aller Zeiten und Völker (2. Aufl., Regensb. 1886) und das von der Gesellschaft der Bibliophilen herausgegebene »Deutsche Anonymenlexikon« in 3 Bänden (Bd. 1, bearbeitet von Holzmann und Bohatta, Stuttg. 1901); für Frankreich: Barbier, Dictionnaire des ouvrages anonymes et pseudonymes (3. Aufl., Par. 1872–79, 4 Bde.; Supplement von Brunet, 1889); Quérard, Les supercheries littéraires dévoilées (2. Aufl. von Brunet, das. 1869–71, 3 Bde.); Drujon, Les livres à clef (das. 1885–88, 2 Bde.); d'Heylli, Dictionnaire des pseudonymes (neue Ausg., das. 1887); für Belgien: Delecourt, Essai d'un dictionnaire, etc. (Brüssel 1863); für Italien: Melzi, Dizionario di opere anonime e pseudonime di scrittori italiani (Mail. 1848–59, 3 Bde.; »Appendice« von Passano, Ancona 1887); für die Niederlande: Doorninck, Vermomdeen naam looze schrijvers etc. (2. Aufl., Leid. 1883–84, 2 Bde.), und de la Montagne, Vlaemsche pseudoniemen (Rousselaere 1884); für England: Halkett und Laing, Dictionary of the anonymous and pseudonymous literature of Great Britain (Lond. 1881–88, 4 Bde.); für Nordamerika: Hayne, Pseudonyms of authors (New York 1883); Cushing, Initials and pseudonyms[551] (das. 1885–88, 2 Bde.) und Anonyms, a dictionary of revealed authorship (Cambridge 1889, 2 Bde.); für Skandinavien: Collin, Anonymer og Pseudonymer (Kopenh. 1869, für Dänemark, Norwegen, Island) und Pettersen, Anonymer og Pseudonymer i den norske literatur 1678–1890 (Christiania 1890, für Norwegen); für Rußland: Ghennadj, Spissok rußkich anonimnych knig (1874); für Südamerika: Barros Arana, Notas para una bibliografía de obras anónimas i pseudónimas (1882); für das Mittelalter: Franklin, Dictionnaire des noms, surnoms et pseudonymes latins de l'histoire littéraire du moyen-âge (Par. 1875). Ein Lexikon der anonymen und pseudonymen Schriften der Jesuiten lieferte Sommervogel (Par. 1884, 2 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1905, S. 551-552.
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