Attitüde

[70] Attitüde (franz.), Haltung, Stellung oder Lage menschlicher Figuren, in künstlerischem Sinn zur Andeutung eines bedeutungsvollen Seelenzustandes oder Lebensmoments gewählt, daher für die bildende Kunst (Bildhauerei wie Malerei) von Wichtigkeit. Die günstige Wirkung einer glücklich getroffenen A. veranlaßte neuere dramatische Künstler zu dem Versuch, die A. in Darstellung sogen. leben der Bilder (s. d.) zu noch selbständigerm Kunstakt zu erheben. Die bekannte Abenteurerin Lady Hamilton (s. d. 8) wendete zuerst gegen Ende des 18. Jahrhunderts das ihr eigentümliche Talent, lebende Personen zu kopieren, bei ihrem Aufenthalt in Italien auf die Nachbildung der Antiken an und veranstaltete bald nachher auch in Deutschland, Frankreich und England öffentliche pantomimische Darstellungen antiker Statuen. Diese Darstellungen wurden in Deutschland von Friedrich Rehberg gezeichnet, von Draggendorf lithographiert und von Rudolf Marggraff in München mit Text veriehen. Vielfach erhöht und erweitert ward diese Erfindung durch die deutsche Schauspielerin Hendel-Schütz (s. d.), die durch Rehbergs Zeichnungen in Frankfurt angeregt wurde, ihr Nachahmungstalent auf diese belebte Plastik zu richten. Ein gewandter, schön gebauter Körper, eine seine Beobachtungs- und eine echt künstlerische Erfindungsgabe vereinigten sich in dieser Darstellerin, um das Höchste in diesem Kunstzweig zu leisten. Die Hendel-Schütz suchte auch in ganzen Reihen von Attitüden wechselnde Handlung und verschiedene Momente der Leidenschaft zur Anschauung zu bringen. Auch ihre Attitüden sind von Peroux und Ritter (Frankf. a. M. 1809) gezeichnet und gestochen. Weniger Glück hat Elise Bürgerin Darstellungen dieser Art gehabt; Vortreffliches leistete dagegen Sophie Schröder. Unter den männlichen Künstlern erlangte der in Amerika verstorbene Seckendorf, genannt Patrick Peale, der zugleich Vorlesungen über seine Darstellungen hielt, großen Ruf. Dann sind Professor Keller und Rappo in Berlin auf den Gedanken gekommen, mit einer eignen Gesellschaft öffentliche Vorstellungen in der Nachahmung plastischer Kunstwerke m geben, und haben damit einen großen, wenn auch keineswegs rein künstlerischen Erfolg erzielt; denn es wurde hierbei das sinnliche Clement über Gebühr kultiviert. Sie haben bis auf die Gegenwart zahlreiche Nachahmer gefunden, die aus dem ganzen Genre eine niedrige Spekulation auf den sinnlichen Reiz gemacht haben. – Im Ballett heißen Attitüden alle Stellungen auf Einem Fuß ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2. Leipzig 1905, S. 70.
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