Chasles

[895] Chasles (spr. schāl'), 1) Michel, Mathematiker und Physiker, geb. 15. Nov. 1793 in Epernon, gest. 12. Dez. 1880 in Paris, besuchte 1812–14 die polytechnische Schule daselbst, lebte dann in Chartres als Wechselagent, erhielt dort 1825 eine Professur, ging 1841 als Professor der Geodäsie und Maschinenkunde an die polytechnische Schule nach Paris und wurde 1846 Professor der höhern Geometrie an der Fakultät der Wissenschaften. C. hat für die synthetische Geometrie Großes geleistet und eine Reihe schwieriger analytischer Probleme auf geometrischem Wege gelöst. Er erregte 1867 großes Aufsehen durch die Veröffentlichung angeblicher Manuskripte Pascals, aus denen hervorging, daß dieser und nicht Newton das Gravitationsgesetz entdeckt habe; er mußte aber 1869 bekennen, daß er sich von einem Handschriftenfälscher hatte betrügen lassen. Er schrieb: »Aperçu historique sur l'origine et le développement des méthodes en géometrie« (Brüssel 1837; 3. Aufl., Par. 1889; deutsch von Sohncke, Halle 1839); »Traité de géometrie supérieure« (Par. 1852, 2. Aufl. 1880; deutsch von Schnuse, Braunschw. 1856); »Traité des sections coniques« (Par. 1865, Bd. 1); »Rapport sur les progrès de la géometrie« (das. 1871).

2) Philarète, franz. Kritiker, geb. 8. Okt. 1798 in Mainvilliers bei Chartres, gest. 18. Juli 1873 in Venedig, ward von seinem Vater, einem alten Jakobiner, nach Rousseauschen Ideen erzogen und kam im Alter von 15 Jahren in die Lehre zu einem Buchdrucker, einem eifrigen Jakobiner, mit dem er nach[895] der Restauration verhaftet wurde. Auf Verwendung Chateaubriands freigelassen, ging er nach England, wo er in einer Buchdruckerei beschäftigt war und sich eine gründliche Kenntnis der englischen Literatur erwarb. Nach einem siebenjährigen Aufenthalt in England (1819–26) verweilte er kurze Zeit in Deutschland (die Frucht dieses Aufenthalts war eine freilich ziemlich mangelhafte Übersetzung des Jean Paulschen »Titan«) und kehrte hierauf nach Frankreich zurück, wo er sich durch seine Aufsätze über die englische Literatur in der »Revue encyclopédique« bald bekannt machte. 1824 wurde sein »Discours sur la vie et les ouvrages de Jacques Auguste de Thou« (Par. 1824) und 4 Jahre später sein »Tableau de la littérature française depuis le commencement du XVI. siècle jusqu'en 1610« (das. 1828) zugleich mit Saint-Marc Girardins Arbeit von der Akademie gekrönt. 1837 wurde C. zum Bibliothekar an der Bibliothèque Mazarine und 1841 zum Professor der nordischen Sprachen und Literaturen am Collège de France ernannt, welche Stelle er bis an seinen Tod bekleidete. C. war ein ungemein fruchtbarer Schriftsteller. Außer mehreren Geschichtswerken: »Révolution d'Angleterre; Charles I, sa cour, son peuple et son parlement« (1844; deutsch, Mainz 1845), »Olivier Cromwell, sa vie privée, ses discours publics, sa correspondance particulière« (1847) u. a., schrieb er Romane, Novellen, Erzählungen von allen Farben, Sittenschilderungen, Reisebilder, hauptsächlich aber (für das »Journal des Débats«, die »Revue de Paris«, »Revue des Deux Mondes« etc.) literarische Abhandlungen und Feuilletons, die durchgängig geistreich geschrieben sind, aber mit allzu deutlicher Absicht auf gesuchte Wendungen, Paradoxen, Überraschungen aller Art ausgehen. Die wichtigsten dieser Aufsätze gab C. u. d. T.: »Etudes de litterature comparée«, später »Œuvres« (1847–77), gesammelt heraus.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 895-896.
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