Mantik

[252] Mantik (Mantie), bei den Griechen die Wahrsagekunst; im heutigen Sprachgebrauch die durch künstliche Mittel angestrebte Entschleierung der Zukunft, im Gegensatz zu der durch inneres Schauen (Prophetie) und göttliche Eingebung bewirkten Weissagung. Zu jenen künstlichen Mitteln gehört sowohl das diesem Zwecke gewidmete Studium der Naturerscheinungen (s. Geomantie, Hydromantie, Pyromantie, Astrologie etc.) als die Auslegung geworfener Stäbe (s. Rhabdomantie), Lose, Würfel, Karten und die Befragung der Toten (s. Nekromantie) und Dämonen. Diese der Zauberei sich nähernden, nicht eine freiwillige Offenbarung der höhern Wesen (Divination), sondern eine gewaltsame Aufdeckung des Schicksals anstrebenden Methoden gründen sich auf die Weltanschauung der alten Babylonier, nach der die Welt in ihrem Gang einer unabänderlichen und gesetzmäßigen, durch die Gestirnstellungen gegebenen Vorherbestimmung folgen sollte. Da nun alle Dinge der Welt untereinander und insbesondere mit dem Menschen in unmittelbarster Harmonie und Wechselwirkung stehen sollten, so durfte man mit Umgehung der Gottheit aus dem Stand und Wechsel der Naturdinge unmittelbar zu ersehen hoffen, welchen Gang das Welt- und Menschenschicksal nehmen würde. Die meisten der vom Altertum bis auf die Neuzeit gekommenen Methoden der M. waren bereits im alten Chaldäa völlig ausgebildet, und die neuern Keilschriftforschungen haben erwiesen, daß die Griechen und Römer mit Recht diese trügerische Wissenschaft als eine spezifisch chaldäische betrachteten. Vgl. Fr. Lenormant, La divination chez les Chaldéens (Par. 1875); Bouché-Leclercq, Histoire de la divination dans l'antiquité (das. 1879–1881, 4 Bde.). Allerdings berühren sich die hierher gehörigen Methoden ziemlich unmittelbar mit der Deutung des Vogelfluges und Hühnerfressens, der Blitze, der Eingeweide geschlachteter Opfertiere, der Befragung heiliger Tempelpferde (s. Augurn, Haruspices, Alektryomantie, Hieroskopie und Hippomantie), in denen man göttliche Fingerzeige voraussetzte, sowie mit der Traumdeutung, die noch unmittelbarer auf der Annahme göttlicher Eingebung fußte. Über die verschiedenen Gattungen der M. hat am eingehendsten Kaspar Peucer, der Schwiegersohn Melanchthons, geschrieben (Wittenb. 1553 u. ö.). Von den unzähligen Methoden der M. sind heute fast nur noch Punktierkunst, Chiromantie (s. d.), vor allem aber Karten- und Kaffeesatz-Wahrsagung im Schwange. Vgl. Weissagung und Orakel. – Die Araber verstehen unter M. (um-ul-mantik) die Wissenschaft der Logik.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 252.
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