Spieß [3]

[741] Spieß, 1) Christian Heinrich, Romanschriftsteller, geb. 1755 zu Freiberg i. S., gest. 17. Aug. 1799, war längere Zeit Mitglied einer wandernden Schauspielergesellschaft und wurde darauf als Wirtschaftsbeamter auf dem Schloß Bezdiekau in Böhmen angestellt. Anfangs schrieb er Schauspiele, z. B. das Ritterdrama »Klara von Hoheneichen«, später lieferte er besonders Romane, jede Messe einige Bände (z. B. »Der alte Überall und Nirgends«, Geistergeschichte, 1792; »Das Petermännchen«, 1793; »Der Löwenritter«, 1794; »Die zwölf schlafenden Jungfrauen«, 1795, etc.), die noch lange in den untern Schichten der Gesellschaft Leser fanden und sich insgemein durch wüste Erfindung und platte Ausführung charakterisieren. Vgl. Appell, Die Ritter-, Räuber- und Schauerromantik (Leipz. 1859); Müller-Fraureuth, Die Ritter- und Räuberromane (Halle 1894).

2) Adolf, Begründer einer neuen Richtung des Schulturnens, geb. 3. Febr. 1810 in Lauterbach am Vogelsberg, gest. 9. Mai 1858, wuchs in Offenbach auf und widmete sich mehr und mehr der Pflege und Forderung der Leibesübungen, nachdem er den anfänglich gewählten Beruf des Theologen nach vollendetem Studium aufgegeben hatte. 1833–44 an den Schulen von Burgdorf im Kanton Bern, dann 1844–48 in Basel angestellt, entfaltete er hier eine erfolgreiche, eigenartige Tätigkeit als Turnlehrer und Schriftsteller. 1848 zur Leitung des hessischen Schulturnens nach Darmstadt berufen, wirkte er in dieser Stellung mit weit über die Grenzen dieses Landes hinausgehendem Erfolg, bis ihn 1855 ein von früh an in ihm keimendes Lungenleiden von seiner Tätigkeit zurückzutreten zwang. S.' Verdienst ist es, die Gebiete der Freiübungen (s. d.) und Ordnungsübungen (s. d.) für die Turnkunst erschlossen und systematisch erschöpft sowie die Betriebsform der Gemeinübungen auch für andre Turngebiete eingeführt zu haben. Auch hat er dem Mädchenturnen zuerst entscheidend Bahn gebrochen und überhaupt ein eigentliches Schulturnen erst ins Leben gerufen. Sein Hauptwerk ist die systematische »Lehre der Turnkunst« (Basel 1840–46, 4 Tle.; 2. Aufl. 1867–85). Zur Anleitung für den Schulturnunterricht ist bestimmt sein »Turnbuch für Schulen« (Basel 1847–51, 2 Tle.; 2. Aufl. von Lion, 1880–89). S.' »Gedanken über die Einordnung des Turnwesens in das Ganze der Volkserziehung« (Basel 1842) sind mit andern zusammengefaßt nebst Beiträgen zu seiner Lebensgeschichte in seinen »Kleinen Schriften über Turnen« (hrsg. von Lion, Hof 1872). Vgl. Waßmannsdorff, Zur Würdigung der Spießschen Turn lehre (Basel 1845).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 741.
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