Tierärztliche Hochschulen

[537] Tierärztliche Hochschulen, Anstalten für den Unterricht in der Tiermedizin. Die furchtbaren Verluste, die namentlich in den 40er Jahren des 18. Jahrh. die Rinderpest dem Viehstand zufügte, und die Feldzüge lenkten die Aufmerksamkeit der Regierungen auf die Errichtung von Unterrichtsanstalten zur Ausbildung von Tierärzten, um die im Lande wütenden Tierseuchen bekämpfen und gute Roßärzte für die fürstlichen Marställe und die Regimenter zu erlangen. Auf Anregung von Claude Bourgelat (1713–79) wurde 1761 in Lyon eine école vétérinaire royale errichtet und 1766 eine zweite, größere Schule in Alfort bei Paris. Dann folgten als Staatsinstitute zunächst die Schulen in Turin 1769, Kopenhagen 1773, Padua und Skara (Schweden) 1774, Wien 1777. In Deutschland wurde die erste (staatliche) Tierarzneischule 1778 in Hannover durch Johann Adam Kersting eingerichtet. Es folgten 1780 Dresden, 1790 Berlin und München. Ihnen schlossen sich im 18. Jahrh. noch Budapest, Mailand, London (Privatanstalt) und Madrid und in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. Bern, Zürich, Stuttgart, Gießen, Utrecht, Brüssel, Toulouse, Dorpat, Kasan, Stockholm an, von kleinern Instituten abgesehen. Bis um die Mitte des 19. Jahrh. wurde ein lediglich handwerksmäßiger, der geringen Bildung der Schüler entsprechender Unterricht erteilt. Allmählich sing man an, den Unterricht wissenschaftlicher zu gestalten und eine bessere Schulbildung von den Tierarzneischülern zu verlangen, zuerst in Preußen. Hier wurde 1838 Sekundanerreife vorgeschrieben, doch ließ man daneben Tierärzte zweiter Klasse (Volksschüler) zur Ausbildung zu. Ein derartiges (etwa dem ehemaligen Verhältnis zwischen Ärzten und Chirurgen entsprechendes) Zweiklassensystem hat in den meisten Ländern bestanden, ist jedoch als unzweckmäßig überall bald (in Preußen 1855, in Österreich erst 1903) abgeschafft worden. 1869 wurde für das Gebiet des Norddeutschen Bundes die Sekundanerreife allgemein als Vorbildung zur Zulassung zum tierärztlichen Studium vorgeschrieben, desgleichen für das Deutsche Reich 1878 die Primanerreife und 1902 endlich das Reifezeugnis eines humanistischen oder Realgymnasiums, bez. einer Oberrealschule. Ebenso wird volle Universitätsreise verlangt in Schweden (seit 1867), Belgien, Österreich-Ungarn und in der Schweiz, während die übrigen Staaten etwa Primanerbildung fordern. 1887 wurden die beiden preußischen Tierarzneischulen in Berlin und Hannover t. H., dann folgten bald Dresden, Stuttgart, München, wenig später auch diejenigen in Österreich-Ungarn (Wien, Budapest, Lemberg). Das seit alters mit der Universität verbundene Veterinärinstitut in Gießen ist jetzt eine Abteilung der medizinischen Fakultät, die daher auch Tierärzte zu doctores medicinae veterinariae promoviert. Ebenso sind die Schweizer Tierarzneischulen veterinär-medizinische Fakultäten der Universitäten Bern und Zürich geworden (1900). Die Minimalstudienzeit beträgt in Deutschland 7, in Österreich-Ungarn 8 Semester. Es werden zwei Prüfungen abgelegt, wie in der Medizin. An der tierärztlichen Hochschule in Berlin studieren zugleich die Angehörigen der Militär-Veterinärakademie. Ebenso bestehen in Dresden, Budapest und Wien mit der Hochschule verbundene Institute zur Aufnahme und speziellen Ausbildung der Armeetierärzte. Die Wiener Anstalt ist zurzeit überwiegend militärisch und noch (1907) dem Kriegsministerium unterstellt. Spezialgeschichten der Hochschulen sind meist anläßlich ihrer Zentenarfeiern an ihrem Ort erschienen, so[537] in Hannover 1878, Dresden 1880, Berlin und München 1890, Mailand 1891, Wien 1878, Dorpat (Jurjèw) 1898, Lyon (le berceau de l'enseignement vétérinaire von Arloing) 1889.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 19. Leipzig 1909, S. 537-538.
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