Zensūr

[889] Zensūr (lat.), wörtlich Prüfung, Beurteilung eines Menschen und seiner Handlungsweise, daher auch das Urteil einer Prüfungsbehörde über die Kenntnisse und Leistungen eines Examinanden. Bei den Römern gab es eine Z. der Sitten durch eigens vom Staate dazu bestellte Beamte (s. Zensoren). Die christliche Kirche übte schon frühzeitig strenge Aussicht über Leben und Wandel ihrer Mitglieder und ging gegen Verfehlungen mit den Mitteln der Zucht vor, an deren erfolglose Handhabung äußerstenfalls die Ausschließung[889] aus der kirchlichen Gemeinschaft sich knüpfte. Auch nachdem die Kirche eine förmliche Strafgerichtsbarkeit ausgebildet hatte, die sich als Reaktion gegen Verletzung der kirchlichen Rechtsordnung darstellt und seit der fränkischen Zeit durch besondere Gerichte, sogen. Sendgerichte (s. d.), ausgeübt wird, tritt doch der Gesichtspunkt der Besserung und Aussöhnung mit Gott nicht ganz zurück. Als Z. fungieren, wenn auch nicht ausschließlich, so doch hauptsächlich und zwar gegenüber Laien, die Exkommunikation (vgl. Bann), das Interdikt (s. d.), gegenüber Geistlichen außerdem die Suspension, durch die bis zur Besserung die Ausübung der Amts-, bez. Weihebefugnisse untersagt wird. Während im Prinzip die Z. wie jede Strafe richterliche Untersuchung und Verurteilung voraussetzt, kommt seit Ende des 7. Jahrh. der Gebrauch auf, an einzelne Delikte kraft Gesetzes ohne weiteres den Eintritt von Z. zu knüpfen, und man bezeichnet nun diese von Rechts wegen eintretenden Zensuren als censurae latae sententiae im Gegensatz zu den censurae ferendae sententiae. Über die Zulässigkeit der Z. nach heutigem Recht s. Geistliche Gerichtsbarkeit. Vgl. Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten, Bd. 4–6,1. Abt. (Berl. 1886–97); Heiner, Die kirchlichen Zensuren (Paderb. 1884); Hollwerk, Die kirchlichen Strafgesetze (Mainz 1899). Über die präventive Z., welche die katholische Kirche ausübt, handelt die Constitutio Leos XIII., Officiorum ac munerum vom 25. Jan. 1897. – Nach der Reformation errichteten auch die Protestanten kirchliche Sittengerichte in Gemeinden und Kirchspielen (Presbyterialgerichte, Kirchenkonvente etc.), die, wie viele katholische, sich bis zur französischen Revolution in hinschwindendem Zustand erhalten haben. Aber auch Sittengerichte weltlicher Natur lassen sich seit dem Mittelalter bis auf die neueste Zeit noch erkennen: so hatten die Zünfte und Ritterorden ihre Sitten und Ehrengerichte, und noch heutzutage bestehen für gewisse Berufsstände Ehrengerichte (s. d.). Über die jetzt abgeschaffte Bücherzensur s. Presse, S. 284 f.; über die Theaterzensur s. d.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 20. Leipzig 1909, S. 889-890.
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