Gewissen

[327] Gewissen, 1) so v.w. Bewußtsein; 2) das Vermögen, die eignen Gesinnungen u. Handlungen nach dem Sittengesetz zu beurtheilen u. zu richten. Jeder Mensch hat einen Gewissenstrieb, d.i. das unwillkürliche Bestreben, seine Gesinnungen u. Handlungen vor den Richterstuhl des G-s zu ziehen u. seinem Urtheil zu unterwerfen, dem auch der größte Bösewicht, bes. in gewissen Stunden u. Lagen des Lebens, nicht zu entgehen vermag. Bei dem sittlich gebildeten Menschen ist der Gewissenstrieb die Geneigtheit u. Kraft, den Reizungen der Sinnlichkeit entgegen, der Stimme des G-s zu folgen. Man unterscheidet ein vorhergehendes G., sofern es sich vor der Handlung durch Billigung od. Mißbilligung (vgl. Sittengesetz), u. ein nachfolgendes G. (G. im engern Sinn), sofern es sich nach der Handlung durch Beifall (Zufriedenheit) od. Tadel (Vorwurf) äußert. Wer den Anregungen seines G-s folgt u. das thut, von dessen Rechtmäßigkeit er überzeugt ist, heißt gewissenhaft; im Gegentheil gewissenlos. Die Unruhe des Gemüthes, wenn uns das G. Vorwürfe macht, heißt Gewissensangst, im höheren Grade Gewissensqual. Die einzelnen beunruhigenden Regungen des G-s über unrechtmäßige Handlungen bezeichnet man bildlich als Gewissensbisse. Die Alten dachten die Folgen des bösen G-s als Wirkungen besonderer furchtbarer Göttinnen (s. Erinyen). Zweifelhafte Fälle, wo das G. nicht weiß, was es zu thun od. zu lassen hat, heißen Gewissensfälle; Pflichten, deren Erfüllung nicht erzwingbar sind (Rechtspflichten), sondern dem G. eines Jeden überlassen werden müssen, Gewissenspflichten; Sachen, wozu man nicht durch ein äußeres Gesetz od. eine Zwangspflicht, sondern blos durch das G. verbunden ist, Gewissenssachen; Regungen des G-s, die sich unter großer Sorgfalt, ja Ängstlichkeit, besonders bei gleichgültigen Dingen zeigen, Gewissensskrupel In der christlichen Ethik nimmt die Lehre vom G. eine wichtige Stelle ein. Schon im A. T. u. in den Apokryphen, bes. aber im N. T. (Röm. 2, 15) wird das G. genannt, als ein Richter der Handlungen nach dem Gesetz Gottes bezeichnet u. ein reines, ein irrendes, ein gutes u. böses G. unterschieden. Vgl. Stäudlin, Geschichte der Lehre vom G., Gött. 1824.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 327.
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