Palast

[874] Palast. (Baukunst)

So nennen wir die großen Gebäude, die zu Wohnungen der Landesfürsten bestimmt sind; wiewol die Schmeicheley den Namen auch auf die Wohnungen andrer Personen von hohem Stand ausgedähnt hat. Der Name kommt von der Wohnung des Augustus in Rom her, die auf dem Palatinischen Berg stund, deswegen sie Palatium, auch überhaupt die Wohnungen der nachfolgenden Kayser Palatia genennt wurden.

Die Paläste, als die Wohnsize der Landesfürsten, sollten sich, weil ihre Bewohner die einzigen ihrer Art in einem Lande sind, auch durch einen eigenen der Hoheit der Besizer angemessenen Charakter auszeichnen, und nicht blos erweiterte und sehr vergrößerte Wohnhäuser seyn. Sie sind nicht nur der Mittelpunkt des Sammelplazes einer Hauptstadt, sondern des ganzen Landes; nicht nur im Ganzen und im Aeußerlichen öffentliche Gebäude, sondern die meisten der innern Theile sind noch als öffentliche Pläze anzusehen, auf denen Nationalversammlungen gehalten, große Feyerlichkeiten begangen, und besonders auch Gesandten fremder Fürsten und Nationen Audienz gegeben werden. Ein Theil der Paläste ist also zum öffentlichen Gebrauch bestimmt; ein andrer aber dienet zum Privatgebrauch der Fürsten.

Es ist aber leicht zu sehen, daß der Palast nicht nur wegen seiner Größe, sondern wegen der Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse, denen der Baumeister dabey Genüge leisten muß, das schweereste Werk der Baukunst sey. Schon der Umstand allein, daß er sowol für den Privatgebrauch einer sehr großen Anzahl Menschen, die ein Landesfürst um sich haben muß, als zu öffentlichen Geschäften dienen soll, macht die geschikte Vereinigung zweyer so sehr gegen einander streitender Dinge, schweer. Bey feyerlichen Gelegenheiten könnte der Ernst und die Hoheit der Handlung gleichsam einen tödlichen Stoß bekommen, wenn durch Ungeschiklichkeit des Baumeisters gemeine, oder gar niedrige Vorstellungen aus dem Privatleben, sich unter die feyerlichen Eindrüke mischten; wenn z.B. bey einer öffentlichen Audienz Dinge, die zur Küche gehören, in die Sinnen fielen. Grossen Herren, und sogar dem Staat überhaupt, ist viel daran gelegen, daß der Unterthan nie ohne Ehrfurcht an sie denke. Darum sollte, so viel immer möglich wäre, das ganze Privatleben der Beherrscher der Völker dem Aug des gemeinen Mannes für immer verborgen seyn.

Aus dergleichen Betrachtungen muß der Baumeister die Grundsäze zu Erfindung, Anordnung und zur ganzen Einrichtung der Palläste hernehmen. Alles muß da groß seyn und den Charakter der Hoheit an sich haben; aber ohne Abbruch des Nothwendigen. Wer dieses bedenkt, wird leicht sehen, was für Genie, Beurtheilungskraft und Geschmak dazu erfodert werde. Der Palast ist für den Baumeister, was das Heldengedicht für den Poeten ist; das Höchste der Kunst, und vielleicht ist es noch seltener einen vollkommenen Palast, als ein vollkommenes Heldengedicht zu sehen. Die meisten Paläste find kaum etwas anderes, als sehr große Wohnhäuser. Nichts anders ist das Königliche Schloß in Berlin, ob es gleich in besonderen Theilen sehr große architectonische Schönheiten hat. Wenn man es von einer der Außenseiten betrachtet, die einzige, daran das große Portal ist, ausgenommen, so fällt wenig in die Augen, das nicht bald in jedem Bürgerhaus zu sehen wäre. Nur das große Portal, das den Triumphbogen des Kaysers Severus nachahmet, ist groß und in dem Geschmak eines wahren Palastes, und so wär auch die Seite gegen den kleinen Hof, an der die Haupttreppe liegt, wenn nur nicht so viel Fehler gegen den guten Geschmak der Säulenordnungen daran in die Augen fielen. Denn Pracht und Größe hat sonst diese Seite, wobey keinem Menschen, wie bey den Außenseiten, einfallen könnte, daß etwa sehr reiche Privatfamilien, da wohnten. Alles kündiget da den Landesherren an. Sonst ist die Lage dieses Schloßes, so wie sie sich für einen Pallast schiket; mitten auf einem erstaunlich großen Plaz, auf welchen sehr breite Straßen führen, so daß eine ganze Nation sich in [875] der Nähe dieses Palasts versammeln könnte, da jeder das Gebäude frey sähe.

Einige orientalische Völker, denen man sonst nicht den größten Geschmak zutraut, scheinen mehr, als die Europäer eingesehen zu haben, was sich zu einem großen Palast schiket. Man sagt, daß der, den der chinesische Monarch in Peking bewohnt, die Größe einer mittelmäßigen Europäischen Stadt habe; und aus den römischen Ueberbleibseln der alten Baukunst, läßt sich schließen, daß auch die römischen Baumeister gewußt haben, die Größe und den Charakter der Paläste, der Hoheit, jener Herren der Welt, gemäß einzurichten.

Indem ich daran bin die lezte Hand an diesen Artikel zu legen, fällt mir eine Abhandlung über diese Materie in die Hände, daraus ich das Wesentlichste, das hieher gehört, anführen will.1

Wodurch unterscheiden sich in Europa, heißt es da, die Paläste der Könige von den Häusern der Privatpersonen? Sie sind von größerm Umfange; die Zimmer sind größer und man entdeket da mehr Reichthum. Dies macht den ganzen Unterschied aus; sonst sind sie von verschiedenen übereinander stehenden Geschossen, wie die gemeinen Wohnhäuser, und wer zum erstenmale dahin kommt, muß sich erkundigen, wo die Zimmer des Fürsten sind.

Würde es nicht ein edleres Ansehen haben, wenn diese Paläste nur von einem Geschoß wären, wie ehemals die römischen, das aber auf einen erhöhten Grund (einer Terasse) stünde; wenn unter diesem erhöhten Grund alles gewölbt wäre, und in diese Gewölber, das, was die tägliche Nothdurft und die allgemeinen Bequämlichkeiten erfodern, gebracht würde; und wenn die Hauptzimmer des Palastes, nach Art der Alten, durch Oefnungen in den Gewölbern derselben erleüchtet würden? An diese große Stüke würde man die, welche zum täglichen Gebrauch gehören, geschikt anschließen, und dadurch würden diese auf die angenehmste und bequämste Weise können angeordnet werden, und würden zugleich angenehme Aussichten auf die Pläze und Gärten haben, die den Palast umgeben.

Aber wir verweisen den Liebhaber der Baukunst auf die Schrift selbst, daraus dieses gezogen ist, und in welcher noch viel beträchtliche Beobachtungen über die große Baukunst vorkommen.

1Diese Abhandlung ist von dem franz. Baumeister Peyre und steht in dem Mercure de France vom Aug. 1773.
Quelle:
Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Band 2. Leipzig 1774, S. 874-876.
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