Gutsherr

Des Gutsherrn schuld geith voraff.Oelrichs, 561; Graf, 282, 348.

Dies Sprichwort zeigt, dass sich die Gutsherren selbst nicht vergessen haben. Die Gutsherren, auch wol die Gutsfrauen, sind in den Sprichwörtern nicht aufs beste angeschrieben. Der ist glücklich, sagt ein anderes deutsches Sprichwort (s. Selig), der Gott alle Tage siehet und seinen Gutsherrn jährlich nur einmal. Was die Gnadenerweisungen der Gutsherren betrifft, so sollen sie wenig Werth haben; die Bulgaren sagen: Schenkt dir dein Gutsherr ein dreibeiniges Pferd, so danke, als wäre es ein vierbeiniges. Die Esten: Der Fisch ist thranig, den dir der Gutsherr schenkt. Die Finnen: Untersuche das Renthier nicht, das dir dein Gutsherr schenkt, du würdest es ohne Geweih finden. Die meisten Erfahrungen auf diesem Gebiet scheinen übrigens die Russen gemacht zu haben, wie deren Sprichwörter beweisen, die uns den Gutsherrn von den verschiedensten Seiten vorführen, in denen aber deren Frauen und Verwalter fast noch ungünstiger beurtheilt werden. Sie behaupten: des Gutsherrn Freundlichkeit ziehe dem Bauer das Hemd vom Leibe. (Altmann VI, 393.) Stirbt des Gutsherrn Gaul, so reitet er die Bauern. (Altmann VI, 482.) Wenn der Gutsherr siecht (kränklich ist), so gilt der Bauern Gesundheit für ein Verbrechen. (Altmann V, 110.) Wo der Gutsherr die Dunkelheit liebt, da helfe Gott den Kerzendrehern (Lichtziehern) im Dorfe. (Altmann V, 110.) Wenn der Gutsherr dein reines Korn rühmt, so schütte schnell Wicken darunter, damit du es doch noch als Viehfutter gebrauchen kannst. (Altmann.) Man muss nicht über des Gutsherrn Strenge klagen, er hat zwar eine Abgabe auf den Kopf [215] gelegt, aber noch nicht auf die Kopfläuse. (Altmann V, 125.) Man kann dem Gutsherrn wol mit fleischner Zunge rufen, aber man darf ihm nur eine silberne Hand zum Empfang reichen. (Altmann V, 121.) Des Gutsherrn Freudentag ist des Kalkuns Trauertag. (Altmann V, 102.) Die ärmsten Gutsherren sind die stolzesten. (Altmann V, 105.) So schildern die Russen ihr Junkerthum, das im wesentlichen auf der ganzen Erde dasselbe ist. In verschiedenen Sprichwörtern suchen sie ironisch zu beweisen, was ohnehin niemand bezweifelt, dass diese Junker keine Götter sind: Auch des Gutsherrn Pferd wird von Bremsen gestochen. (Altmann V, 119.) Von des Gutsherrn Kühen kann man auch keinen Wein melken. (Altmann V, 100.) Unser Gutsherr sitzt auch nur auf zwei Schenkeln. (Altmann VI, 407.) Mit beissender Ironie sagen die Czechen und Polen: Gott ernährt den Wolf und den Gutsherrn. Wenn der Gutsherr sich betrinkt, so taumeln die Bauern. (Altmann VI, 479.) Wenn es den Gutsherrn juckt, so muss sich der Bauer kratzen. (Altmann VI, 482.) Viel schlimmer noch als die Gutsherren selbst, sind, ganz wie anderwärts, ihre Frauen und Amtleute: Des Gutsherrn Magen ist eher zu füllen als des Pächters Mund. (Altmann V, 99.) Ist der Gutsherr ein strenger Mann, so ist sein Schreiber ein Tyrann. (Altmann V, 97.) Andere Sprichwörter spotten über das erzwungene Respectsverhältniss: Ginge die buckelige Gutsfrau auch nackt durchs Dorf, die Bauern würden (müssten) ihre Geradheit bewundern. (Altmann VI, 435.) Wo die Gutsfrau nackt geht, trägt keine Dirne im Dorfe ein Hemd. (Altmann V, 113.) Silber führt bis in der Gutsfrau Zimmer und Gold bis in ihr Bett. (Altmann V, 125.) Des Gutsherrn Söhne werden früh weise. (Altmann VI, 442.) Des Gutsherrn Tochter gilt für schlank, auch wenn sie schwanger ist. (Altmann VI, 427.) Doch wissen sie auch den Einfluss des Bessern zu würdigen, indem sie sagen: Ein sanftmüthiger Gutsherr macht eine friedfertige Dorfgemeinde. (Altmann VI, 509.) Der Gutsherr erscheint in den russischen Sprichwörtern als der Comparativ des in ahnlicher Weise geschilderten Starosten (s.d.) oder Schulzen, der in denselben ungefähr ebenso gut angeschrieben ist, wie in den deutschen Sprichwörtern der deutsche Schulze.

Böhm.: Krmí bůh vlka, krmí bůh i pána.

Poln.: Bóg daje dla wilka, bóg daje i dla pana. (Čelakovsky, 327.)

Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 2. Leipzig 1870, Sp. 215-216.
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