Cranmer

[483] Cranmer (Thomas), Erzbischof von Canterbury und erster Beförderer der kirchlichen Reformation in England, geb. 1489 zu Aslacton in der Grafschaft Northampton, bewies in der Jugend wenig Neigung für den gelehrten Stand, nachdem er aber im 14. Jahre in das Jesuscollegium zu Cambridge aufgenommen worden war, betrieb er seine wissenschaftliche Ausbildung auf das Eifrigste. Das Studium der h. Schrift und die Werke der gleichzeitigen deutschen Reformatoren lehrten ihn die Mängel der engl. Kirche kennen, für die er seit 1524 als Lehrer der Theologie in seinem Collegium thätig war. Zufällig wurde König Heinrich VIII., welcher sich von seiner Gemahlin Katharina von Aragonien zu scheiden trachtete, allein der päpstlichen Zustimmung entbehrte, der von C. gelegentlich gethane Ausspruch hinterbracht, daß diese Sache durch Gutachten der berühmtesten Theologen und Universitäten am besten zu entscheiden wäre. Erfreut rief der König aus: »Der Mann hat die Sau beim rechten Ohr gepackt!«, berief C. zu sich, machte ihn zum Hofkaplan und beauftragte ihn, seine Meinung in einer besondern Schrift auszuführen. C. that dies zur Zufriedenheit des Königs, erhielt dafür eine einträgliche geistliche Pfründe und trat 1530 die Reise auf das Festland an, um über des Königs Scheidung die Meinung der Universitäten und Theologen einzuholen, und die Verbindungen, die er dabei mit den gelehrtesten und aufgeklärtesten Männern seiner Zeit schloß und der religiöse Enthusiasmus in Deutschland hatten großen Einfluß auf seine Bildung zum Reformator. Nachdem er sich in Nürnberg mit der Nichte des berühmten Theologen Andreas Osiander verheirathet hatte, kehrte er 1532 nach England zurück, wo ihn der König zum Erzbischof von Canterbury ernannt hatte, und sprach bald nach seiner Einsetzung, die jedoch durch päpstliche Vermittelung erfolgte, die Scheidung des Königs aus. Als der Papst diese als ungültig verwarf und den König in den Bann that, trennte sich dieser nach C.'s Rath gänzlich von dem h. Stuhle, und das Parlament erklärte den König zum Oberhaupt der Kirche in England. Hierdurch legte C. den Grund zur Reformation der engl. Kirche, um die er sich auch vorzügliche Verdienste durch Einführung der Landessprache beim Gottesdienste und dadurch erwarb, daß er die heilige Schrift in dieselbe übersetzen ließ. Nach Heinrich VIII. Tode, unter der Regierung seines minderjährigen Sohnes, Eduard VI. (1547–53), wirkte C. noch nachdrücklicher und erfolgreicher in diesem Geiste, ließ sich aber doch auch, obgleich von Charakter mäßig und duldsam, bisweilen von fanatischen Zeitgenossen gegen Andersdenkende zur Strenge und Härte fortreißen, was ihm mit Recht zum Vorwurfe gereicht. Als Eduard VI. die bigotte und verfolgungssüchtige Maria auf dem Throne folgte und die eingerissene Ketzerei auszurotten suchte, mußte auch C., in dem sie außerdem einen Feind ihrer Mutter Katharina von Aragonien sah, als Urheber der Reformation ins Gefängniß wandern und ließ sich hier durch Drohungen und Versprechungen zum Widerruf aller seiner Lehren und Meinungen bewegen; allein dennoch konnte er seine religiöse Überzeugung nicht verleugnen, als er seinen Rücktritt zur katholischen Kirche öffentlich aussprechen sollte, und mit Schmerz und Reue erklärte der schwache Greis, daß er nur aus Todesfurcht widerrufen habe, allein diese Sünde durch den Tod zu büßen bereit sei, und wurde nun am 21. März 1556 zum Scheiterhaufen geführt, den er unerschrocken bestieg. In den Flammen ließ er zuerst seine rechte Hand, die den Widerruf unterzeichnet hatte, unter Wiederholung der Worte langsam verbrennen: »Diese Hand hat gesündigt; ach die unwürdige Hand!« und starb mit dem Ausrufe des h. Stephanus: »Herr Jesu, nimm meinen Geist auf!«

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 483.
Lizenz:
Faksimiles:
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika