Erfrieren

[685] Erfrieren wird theils der durch die Einwirkung heftiger und anhaltender Kälte herbeigeführte Scheintod, theils der dadurch erfolgte wirkliche Tod genannt, oder man sagt auch von dem aus gleicher Ursache herrührenden Absterben eines einzelnen Körpertheils, er sei erfroren. Der Tod durch Erfrieren erfolgt, weil dem Körper die zum Leben nothwendige Menge Wärme entzogen, der freie Umlauf des durch die Kälte von den äußern nach den innern Theilen gedrängten Blutes gestört, das Blut endlich selbst zum Erstarren gebracht und dadurch wieder manche zum Fortbestand des Lebens unbedingt nöthige Verrichtung unmöglich gemacht wird. Zum Erfrierungstode kommt es höchst selten in eingeschlossenen Räumen, sondern gewöhnlich in freier Last, am häufigsten, wenn ein durch anstrengende körperliche Arbeiten, eine weite Wanderung oder blos durch hohes Alter erschöpfter, auch wenn ein betrunkener Mensch, der bei großer Kälte gewöhnlich bald sich einstellenden und schwer zu bekämpfenden Neigung zum Schlafe nicht widerstehen kann, oder ein in Schneegestöber Verirrter sich genöthigt sieht, die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Der von der Gefahr des Erfrierens Bedrohte wird plötzlich von einer außerordentlichen Müdigkeit und kaum abzuwehrenden Neigung zum Schlafen, von Schmerzen in den der Einwirkung der Kälte am meisten ausgesetzten Gliedmaßen, Schwere des Kopfes, Betäubung und endlich völliger Bewußtlosigkeit befallen, in welcher er dann gewöhnlich für immer einschläft. Erfriert ein einzelner Körpertheil, so wird er zuerst roth und schmerzhaft, dann blaß, dann ganz weiß, endlich empfindungslos, völlig starr und steif und nun auch leicht zerbrechlich. Wird ein Mensch erfroren gefunden, so darf man, selbst wenn man vermuthen könnte, daß er schon einige Tage in diesem Zustande gelegen, ihn dennoch nicht für rettungslos verloren halten; denn man hat Beispiele, daß selbst Menschen, die vier und fünf Tage erfroren gelegen hatten, durch eine zweckmäßige Behandlung wieder ins Leben gerufen worden sind. Soll letztere den gewünschten Erfolg haben, so müssen alle zur Rettung des Erfrorenen etwa ergriffenen Maßregeln von Anfang bis zu Ende den Grundsatz möglichst langsamer, allmäliger Erwärmung festhalten. Man entkleide daher einen Erfrorenen entweder ohne Weiteres in freier Last, oder doch in einer ungeheizten Stube, nehme sich aber hierbei, sowie auch schon beim Transport desselben in Acht, um nicht zur Entstehung von Knochenbrüchen Veranlassung zu geben, oder eins der erstarrten Glieder, so namentlich die Ohren, die Nase, ein Paar Finger oder Zehen u.s.w. abzubrechen. Ist der Verunglückte vollständig entkleidet, so hüllt man ihn, mit Ausnahme des Gesichts (damit Nase und Mund beständig der Luft zugänglich bleiben) gänzlich in Schnee oder bringe ihn, wenn es an Schnee fehlt, in ein Bad von eiskaltem Wasser, das man durch Hineinwerfen von Eisstücken noch kälter zu machen suchen kann. Gleichzeitig reibe man Brust und Gliedmaßen mit Schnee oder eiskalten Tüchern. Fängt der Körper an etwas aufzuthauen, in welchem Falle sich gewöhnlich eine Eisrinde um ihn ansetzt, werden die Glieder biegsam vielleicht sogar warm, so bringe man nun den Verunglückten in ein trockenes, kaltes Bett und beginne mit den Reibungen von Neuem, anfangs mit ungewärmten, später mit gewärmten wollenen Tüchern; will das Athemholen nicht recht von statten gehen, so suche man es durch Einblasen von Luft in Gang zu bringen. Diese Behandlung muß nöthigenfalls selbst einige Tage lang fortgesetzt werden. Sobald der dem Leben Wiedergegebene schlucken kann, werden ihm einige Schluck kaltes Getränk gereicht, später, jedoch mit der höchsten Vorsicht, etwas Warmes, eine Tasse Flieder-, Kamillenthee u.s.w. – Einzelne erfrorene Theile reibt man am zweckmäßigsten sobald als möglich mit zerstoßenem Eise, Schnee oder kaltem Wasser, wobei sich von selbst versteht, daß man sie ebenfalls vor zu früher Berührung durch die Wärme, also z.B. vor der Nähe eines Ofens, vor dem Waschen mit warmem Wasser und dergl. bewahren muß.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 685.
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