Orgel

[349] Orgel (die) ist in ihrer vollkommenern Gestalt das größte, am meisten zusammengesetzte, kunstreichste und volltönendste von allen musikalischen Instrumenten, besteht aus einer großen Anzahl hölzerner oder zinnerner Pfeifen, welche in einem umfänglichen Gehäuse harmonisch geordnet und von denen die größten mitunter 16–24 F. lang sind und einen Fuß im Durchmesser haben. Zum Tönen gebracht werden dieselben durch einen künstlich erregten Luftzug oder Wind, der ungefähr wie am Dudelsack durch den Druck seines aufgeblasenen Lederschlauches, bei der Orgel durch Blasebälge mittels der Windlade ihnen zugeführt wird. Aus dieser gehen nämlich zu den Pfeifen Kanäle oder Röhren, Cancellen genannt, welche mittels hölzerner Klappen für den Luftzug geöffnet oder geschlossen werden können. Diese stehen zu diesem Behufe mit den Tasten der Claviatur, deren eine Orgel zuweilen mehre hat und die das Manual heißen, sowie mit den durch die Füße zu bewegenden Tasten des Pedals (s.d.) der Art in Verbindung, daß sie durch Niederdrücken der Tasten geöffnet werden und sich wieder schließen, wenn die Taste verlassen wird. Die Pfeifen sind nach Art und Stärke des Tones in Reihen geordnet, welche Stimmen oder Register genannt werden, von denen jedes durch Züge noch besonders für den Zugang des Windes geöffnet oder abgesperrt, sowie nach Belieben des Orgelspielers oder Organisten mit dem Manual und Pedal in Verbindung gesetzt werden kann. Nach der Einrichtung ihrer Pfeifen werden die Stimmen in Flötenwerke, welche einfach durch den Luftzug tönen und in Rohr- oder Schnarrwerke abgetheilt, wo der Ton mittels einer Zunge angegeben wird, die in Gestalt eines dünnen Streifens Messingblech auf der länglichen Öffnung des Mundstückes liegt. Außerdem hat noch jede Stimme ihren Namen, wie z.B. Principal oder Hauptstimme, die den Maßstab zur Einrichtung des ganzen Orgelwerkes abgibt, Viola da Gamba, Violon, Cornet, vox humana oder Menschenstimme, Trompete, Fagott u.s.w. Es gibt ferner offene Stimmen und gedeckte, die Gedackt heißen und deren Pfeifen, wenn sie hölzern sind, oben mit Spünden, wenn sie zinnern mit Hüten versehen sind, was den Ton um eine Octave tiefer und sanfter macht; nach der Größe unterscheidet man Grobgedackt, Mittelgedackt, Kleingedackt oder schlechthin Gedackt. Andere Stimmen heißen Mixturen, weil sie beim Niederdrücken der Tasten zum Haupttone noch einen andern mit angeben.

Da jede Stimme ihre besondern Pfeifen verlangt, wächst im Allgemeinen mit der Zahl der ersten auch die der letztern, doch kommt dabei auch der Tonumfang des Werkes in Betracht. So besitzt z.B. die 1703 von Eug. Casparini erbaute berühmte Orgel in der Petri-Paulkirche zu Görlitz 57 Stimmen und 3270 Pfeifen, die zu Maria-Magdalena in Breslau aber bei 56 Stimmen 3342 Pfeifen. Andere ausgezeichnete Orgeln sind die in der Haupt- oder Stiftskirche zu Stuttgart mit 6666 Pfeifen, welche aus der ehemaligen Abtei Weingarten am Bodensee herrührt, die zu Rothenburg an der Tauber, in der Stiftskirche zu Halberstadt, in der Frauenkirche zu Dresden, in der großen Kirche zu Harlem mit 60 Stimmen und 4295 Pfeifen; die größte ist jedoch die in der Peterskirche zu Rom, welche 100 Stimmen hat. In der jüngsten Zeit sind in Deutschland in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. und zu Perleberg ausgezeichnete Orgelwerke aufgestellt worden. Die Orgel mit Auszeichnung zu spielen ist sehr schwierig und verlangt außer der genauesten Bekanntschaft mit der Natur und Einrichtung derselben noch insbesondere die vollständige Kenntniß der Regeln des harmonischen Theiles des musikalischen Satzes. Eigenthümlich ist der Orgel, daß die Töne ohne Unterbrechung gleich stark fortklingend erhalten werden können, was sie vorzüglich zum gebundenen, ernsten und feierlichen Vortrage geeignet macht. Daß sie dagegen Abstufungen der Stärke desselben Tones nicht gestattet, wird theils durch die Fülle und Pracht der Töne, theils dadurch ersetzt, daß der Organist für ganze Sätze verschiedene Register benutzen kann. Die jetzt gewöhnliche Anwendung der Orgel zur Führung des Gesanges in den katholischen und protestantischen Kirchen ist bekannt; in der morgenländ.-griech. Kirche fand dieselbe jedoch nie statt. Außerdem wirkt die Orgel zur Verstärkung bei Kirchenmusiken mit und wird für sich als Concertinstrument gespielt. Die Erfindung der Orgel geht hoch ins Alterthum zurück und bildete sich allmälig aus der Wahrnehmung heraus, daß man Pfeifen und Flöten, wie sie längst üblich waren, auch durch mechanische Hervorbringung eines Luftzuges zum Tönen bringen könne. Indem man sich nach bequemen Mitteln dazu umsah, erfand man eine Vorrichtung, die Luft durch den Druck von Wasser in die Pfeifen zu treiben und solche Instrumente hießen Wasserorgeln, die jetzt üblichen aber Windorgeln. Schon 220 v. Chr. soll es in Alexandrien Wasserorgeln mit einer Claviatur gegeben haben, die aber gewiß noch weit unvollkommener gewesen sind als die Windorgeln, von denen sich Nachrichten aus dem 3. und 4. Jahrh. erhalten haben und die im 6. Jahrh. zwar im westl. Europa schon bekannt waren, allein erst seit dem 9. Jahrh. häufiger in den Kirchen vorkommen. Sie waren jedoch noch sehr mangelhaft, und hatten wenige und so breite und schwer zu bewegende Tasten, daß sie als Begleitung des Gesanges blos einzeln mit der Hand niedergedrückt oder geschlagen werden konnten, um den Ton des Liedes festzuhalten. Wichtig war unter den allmäligen Vervollkommnungen der Orgel im 15. Jahrh. die Anbringung des Pedals durch einen Deutschen, Namens Bernhard, welcher Hoforganist des Dogen in Venedig war; im 16. Jahrh. erst erfolgte die Abtheilung der Pfeifen in Register und erst seit dem 17. Jahrh. ist durch zweckmäßigere Anordnung die jetzige vervollkommnete Bauart der Orgeln erreicht worden, um die sich die Deutschen bis auf die neueste Zeit fortgesetzte Verdienste erworben, sowie sie stets die ausgezeichnetsten Virtuosen auf diesem schwierig zu behandelnden Instrumente besessen haben.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 349.
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