Puls

[594] Puls nennt man die vorübergehende, durch das Gefühl. und zuweilen selbst durch das Gesicht wahrnehmbare Bewegung der Arterien, Puls- oder Schlagadern, welche, wie die ganze Erscheinung, durch das Zusammenwirken der lebendigen Thätigkeit des Herzens (s.d.), der Schlagadern (s. Adern) und des Blutes selbst bedingt ist. Da der Puls nicht allein von der jedesmaligen Beschaffenheit des Blutumlaufs, sondern auch von der Einwirkung des Nervensystems auf diesen geregelt wird, mithin mehr oder weniger auch von dem Zustande der Lebenskraft Auskunft gibt, so ist er ein höchst wichtiges Hülfsmittel zur Erforschung und Beurtheilung von Krankheitszuständen, namentlich aber solcher, welche einen raschen Verlauf machen. Aber auch Alter, Geschlecht, Körperconstitution, Temperament, Tageszeit, Klima u.s.w. führen große Verschiedenheiten desselben herbei. Was zunächst den Einfluß des Alters auf die Beschaffenheit des Pulses im Zustande der Gesundheit anlangt, so ist in der ersten Zeit nach der Geburt die Zahl seiner einzelnen Schläge am beträchtlichsten, sodaß sie in der Minute bis auf 140 steigt, nach und nach vermindert sich aber dieselbe, obschon sie in der Kindheit immer größer bleibt als in jedem spätern Lebensalter; zugleich ist der Puls klein und schwach. In den Jahren der Mannbarkeit wird er dagegen größer und kräftiger, hat aber nur noch 80–90 Schläge in der Minute, bei Erwachsenen 70–80, bei Greifen 50–60.[594] Bei dem weiblichen Geschlecht findet man ihn im Allgemeinen im Vergleich zum männlichen Geschlechte häufiger, schneller, schwächer, kleiner und weicher. Bei sanguinischen Temperamenten pflegt er häufig groß und weich, bei cholerischen langsamer, härter und stärker, bei phlegmatischen langsam, schwach, weich und voll, bei melancholischen langsam, hart und stark zu sein; in heißen Klimaten ist er schneller als in kalten, sodaß er z.B. bei den Grönländern bis auf 40 Schläge in der Minute herabsinkt. Vom Morgen bis zum Abend nimmt er an Schnelligkeit zu, in der Nacht wird er langsamer und am andern Morgen hat er wieder die nämliche Anzahl von Schlägen als den Tag zuvor. Gemüthsbewegungen, körperliche, besonders bis zur Anstrengung fortgesetzte Bewegung, der Genuß geistiger Getränke, die Verdauung verändern ihn ebenfalls. Für gewöhnlich untersucht man den Puls oberhalb des Handgelenkes an der sogenannten Speichenarterie, welche an dieser Stelle unmittelbar neben dem Knochen ganz frei liegt, in besondern Fällen auch an den Schläfen, dem Halse u.s.w. Diese Untersuchung muß wenigstens eine halbe Minute dauern, um die Zahl der Pulsschläge mit Sicherheitermitteln zu können, was überhaupt Aufmerksamkeit und Übung bedarf, Die Unterschiede, welche der Puls schon im Zustande der Gesundheit und der Krankheiten darbietet, sprechen sich hauptsächlich in der Zeitfolge, in welcher die Pulsschläge statt haben, in der Dauer eines jeden derselben und der Art ihres Anschlages und den Beziehungen, in denen sie untereinander stehen, aus. In allen rasch verlaufenden Krankheiten pflegt der Puls, wenigstens während eines Theiles ihrer Dauer, beschleunigt zu werden. Eine Verminderung der Häufigkeit ist in Krankheiten meist ein günstiges Zeichen. Je nach der besondern Art und Weise, wie die Arterie gegen den untersuchenden Finger anschlägt, unterscheidet man einen starken und schwachen, einen harten und weichen, einen großen und kleinen, einen vollen und leeren Puls, was vorzüglich durch die Kraft, mit welcher das Herz thätig ist, die Größe oder Kleinheit der Arterien und von der in dem Gefäßsysteme umfließenden Blutmenge bedingt wird. Endlich nimmt man noch Unterschiede an, je nach dem Verhältnisse der einzelnen Pulsschläge untereinander. Im Zustande der Gesundheit folgen die einzelnen Pulsschläge in gleichen oder fast gleichen Zwischenzeiten aufeinander, auch gleichen sie sich hinsichtlich ihrer Stärke, Größe u.s.w. Alles dies zusammen bewirkt die Gleichheit oder Regelmäßigkeit des Pulses; fehlt eine dieser Bedingungen, so wird er unregelmäßig. So gibt es einen doppelschlägigen Puls, der aus je zwei beinahe gleichen, sehr nahe aufeinander folgenden Schlägen besteht, von denen der letzte von dem nächstfolgenden dritten durch einen größern Zwischenraum getrennt ist. Aussetzend wird der Puls genannt, wenn nach einer mehr oder weniger großen Anzahl von Schlägen einer ganz fehlt. Häufig begleitet diese Art Puls ein Herzleiden, sie kommt aber auch in andern Krankheiten vor und ist dann, zumal wenn alle vier oder fünf Schläge einer fehlt, immer ein sehr bedenkliches Zeichen. Der zitternde Puls wird sowol durch eine ungleiche Kraft der einzelnen Schläge als durch die Ungleichheit in der Zeit ihrer Aufeinanderfolge hervorgebracht und scheint von einer Art Zögern in den Zusammenziehungen des Herzens abzuhängen. Der Puls erlangt seine ganze Wichtigkeit für die Erkenntniß von Krankheitszuständen hauptsächlich erst durch Vergleichung mit andern gleichzeitigen oder bereits vorausgegangenen Krankheitserscheinungen. Ist er gar nicht fühlbar, so verräth dies, mit Ausnahme nicht allzu lange anhaltender Ohnmachten, immer große Gefahr und verkündigt meist den bald zu befürchtenden Eintritt des Todes.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1839., S. 594-595.
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