Schema (1)

[281] Schema (schêma): Form, Gestalt, Umriß, Formular für ein Verfahren. Vgl. ARISTOTELES, Met. VII 3, 1029 a 4. XII 8, 1074 b 1. Eth. Nic. V 8, 1133 a 34. Anal. pr. I, 4, 6 u. ö. Unter dem transcendentalen Schema versteht KANT ein »allgemeines Verfahren« der Einbildungskraft (s. d.), den reinen Verstandesbegriff (die Kategorie, s. d.) den Sinnen a priori darzustellen (Krit. d. pr. Vern. S. 84). Das »Schema« ermöglicht die Anwendung der Kategorien auf den Anschauungsinhalt, indem es mit beiden etwas gemein hat. »In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit dem letzteren gleichartig sein, d. i. der Begriff muß dasjenige enthalten, was in dem darunter zu subsumierenden Gegenstande vorgestellt wird.« »Nun sind aber reine Verstandesbegriffe, in Vergleichung mit empirischen (ja überhaupt sinnlichen) Anschauungen, ganz ungleichartig und können niemals in irgend einer Anschauung angetroffen werden« (Krit. d. rein. Vern. S. 142). »Nun ist klar: daß es ein Drittes geben müsse, was einerseits mit der Kategorie, anderseits mit der Erscheinung in Gleichartigkeit stehen muß, und die Anwendung der ersteren auf die letzte möglich macht. Diese vermittelnde Vorstellung muß rein (ohne alles Empirische) und doch einerseits intellectuell, anderseits sinnlich sein. Eine solche ist das transcendentale Schema« (l. c. S. 142 f.). Als dieses functioniert die transcendentale Zeitbestimmung. »Der Verstandesbegriff enthält reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen überhaupt. Die Zeit als die formale Bedingung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes, mithin der Verknüpfung der Vorstellungen, enthält ein Mannigfaltiges a priori in der reinen Anschauung. Nun ist eine transcendentale Zeitbestimmung mit der Kategorie (die die Einheit derselben ausmacht) sofern gleichartig, als sie allgemein ist und auf einer Regel a priori beruht. Sie ist aber anderseits mit der Erscheinung sofern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten ist. Daher wird eine Anwendung der Kategorie auf Erscheinungen möglich sein, vermittelst der transcendentalen Zeitbestimmung, welche als das Schema der Verstandesbegriffe die Subsumtion der letzteren unter die erste vermittelt« (l. c. S. 143). »Wir wollen diese formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringiert ist, das Schema dieses Verstandesbegriffs, und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schematen den Schematismus des reinen Verstandes nennen« (l. c. S. 144). Unseren reinen sinnlichen Begriffen liegen »nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde« (ib.). »Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinung und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele... So viel können wir nur sagen: das Bild[281] ist ein Product des empirischen Vermögens der productiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Product und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, die aber mit dem Begriffe nur immer vermittelst des Schema, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen und an sich demselben nicht völlig congruieren. Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kann, sondern ist nur die reine Synthesis, die die Kategorie ausdrückt, und ist ein transcendentales Product der Einbildungskraft, welches die Bestimmung des innern Sinnes überhaupt, nach Bedingungen ihrer Form (der Zeit), in Ansehung aller Vorstellungen, betrifft,. sofern diese der Einheit der Apperception gemäß a priori in einem Begriffe zusammenhängen sollten« (l. c. S. 145). »Das reine Bild aller Größen (quantorum) vor dem äußern Sinne ist der Raum, aller Gegenstände der Sinne aber überhaupt die Zeit. Das reine Schema der Größe aber (quantitatis), als eines Begriffs des Verstandes, ist die Zahl, welche eine Vorstellung ist, die die successive Addition von einem zu einem (Gleichartigen) zusammen befaßt.« »Das Schema einer Realität, als der Quantität von etwas, sofern es die Zeit erfüllt, ist eben diese continuierliche und gleichförmige Erzeugung derselben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewissen Grad hat, in der Zeit bis zum Verschwinden derselben hinabgeht, oder von der Negation zu der Größe allmählich aufsteigt.« »Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, d. i. die Vorstellung desselben, als eines Substratum der empirischen Zeitbestimmung überhaupt, welches also bleibt, indem alles andere wechselt.« »Das Schema der Gemeinschaft (Wechselwirkung) oder der wechselseitigen Causalität der Substanzen in Ansehung ihrer Accidenzen ist das Zugleichsein der Bestimmungen der einen, mit denen der andern, nach einer allgemeinen Regel.« »Das Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt..., also die Bestimmung der Vorstellung eines Dinges zu irgend einer Zeit.« »Das Schema der Wirklichkeit ist das Dasein in einer bestimmten Zeit.« »Das Schema der Notwendigkeit ist das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit« (l. c. S. 145 ff.). »Man siehet nun aus allem diesem, daß das Schema einer jeden Kategorie, als das der Größe, die Erzeugung (Synthesis) der Zeit selbst, in der successiven Apprehension eines Gegenstandes, das Schema der Qualität die Synthesis der Empfindung (Wahrnehmung) mit der Vorstellung der Zeit, oder die Erfüllung der Zeit, das der Relation das Verhältnis der Wahrnehmungen untereinander zu aller Zeit (d. i. nach einer Regel der Zeitbestimmung), endlich das Schema der Modalität und ihrer Kategorien, die Zeit selbst, als das Correlatum der Bestimmung eines Gegenstandes, ob und wie er zur Zeit gehöre, enthalte und vorstellig mache. Die Schemate sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Ansehung aller möglichen Gegenstände.« »Hieraus erhellet nun, daß der Schematismus des Verstandes durch die transcendentale Synthesis der Einbildungskraft auf nichts anderes, als die Einheit alles Mannigfaltigen der Anschauung in dem inneren Sinne und so indirect auf die Einheit correspondiert, hinauslaufe. Also sind die Schemate der reinen Verstandesbegriffe die wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objecte, mithin Bedeutung zu verschaffen, und die Kategorien sind d. am Ende von keinem andern, als einem möglichen empirischen Gebrauche,[282] indem sie bloß dazu dienen, durch Gründe einer a priori notwendigen Einheit (wegen der notwendigen Vereinigung alles Bewußtseins in einer ursprünglichen Apperception) Erscheinungen allgemeiner Regeln der Synthesis zu unterwerfen und sie dadurch zur durchgängigen Verknüpfung in einer Erfahrung schicklich zu machen.« »In dem Ganzen aller möglichen Erfahrung liegen aber alle unsere Erkenntnisse, und in der allgemeinen Beziehung auf dieselbe besteht die transcendentale Wahrheit, die vor aller empirischen vorhergeht und sie möglich macht. Es fällt aber doch auch in die Augen: daß, obgleich die Schemate der Sinnlichkeit die Kategorien allererst realisieren, sie doch selbige gleichwohl auch restringieren, d. i. auf Bedingungen einschränken, die außer dem Verstande liegen (nämlich in der Sinnlichkeit). Daher ist das Schema eigentlich nur das Phänomenen, oder der sinnliche Begriff eines Gegenstandes, in Übereinstimmung mit der Kategorie... Wenn wir nun eine restringierende Bedingung weglassen, so amplificieren wir, wie es scheint, den vorher eingeschränkten Begriff. so sollten die Kategorien in ihrer reinen Bedeutung, ohne alle Bedingungen der Sinnlichkeit, von Dingen überhaupt gelten, wie sie sind, anstatt daß ihre Schemate sie nur vorstellen, wie sie erscheinen, jene also eine von allen Schematen unabhängige und viel weiter erstreckte Bedeutung haben. In der Tat bleibt den reinen Verstandesbegriffen allerdings, auch nach Absonderung aller sinnlichen Bedeutung, eine, aber nur logische Bedeutung der bloßen Einheit der Vorstellungen, denen aber kein Gegenstand, mithin auch keine Bedeutung gegeben wird, die einen Begriff vom Object abgeben könnte. So würde z.B. Substanz, wenn man die sinnliche Bestimmung der Beharrlichkeit wegließe, nichts weiter als ein Etwas bedeuten, das als Subject (ohne ein Prädicat von etwas anderem zu sein) gedacht werden kann, indem sie mir gar nicht anzeigt, welche Bestimmungen das Ding hat, welches als ein solches erstes Subject gelten soll. Also sind die Kategorien, ohne Schemate, nur Functionen des Verstandes zu Begriffen, stellen aber keinen Gegenstand vor. Diese Bedeutung kommt ihnen von der Sinnlichkeit, die den Verstand realisiert, indem sie ihn zugleich restringiert« (l. c. S. 147 ff.). Durch den »Schematismus« wird dem Begriffe durch die ihm correspondierende Anschauung objective Realität zugeteilt (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 120).

Nach KRUG bekommen die Kategorien als »schematisierte Prädicamente« »gleichsam eine sinnliche Hülle oder Gestalt« (Handb. d. Philos. I, 273). Nach REINHOLD sind die Schemate die Kategorien in ihrer bestimmten Beziehung auf die allgemeine Form der Anschauung (Theor. II, 466, 483). E. REINHOLD erklärt: »Das Kantische Schema ist teils das in dem Begriff als anschauliches Element enthaltene Gemeinbild, teils der Begriff selbst, der in seinem Inhalt eine mehr oder weniger anschauliche Seite mit dem nur intellectuell Verständlichen vereinigt« (Psychol. S. 202). FRIES nennt »Schemate der Einbildungskraft« »die ersten losgetrennten Teilvorstellungen von Erkenntnissen... als Vorstellungen in abstracto. Dahin gehören die Bedeutungen aller Nennworte in der Sprache, wenn sie nicht Eigennamen sind... Diese Worte bedeuten allgemeine Merkmale als gleiche Teilvorstellungen vieler einzelner Erkenntnisse. Aus der Anschauung aller der Menschen oder Pferde, die ich gesehen habe, bildet sich mir eine unbestimmte Zeichnung von der Einbildungskraft als der gleiche Teil in der Vorstellung welcher in der Anschauung aller menschlichen Gestalt oder aller Pferde enthalten ist« (Syst. d. Log. S. 65. Neue Krit. I, 192). SCHELLING erklärt: »Das Schema... ist nicht eine von allen Seiten bestimmte Vorstellung, sondern nur [283] Anschauung der Regel, nach welcher ein bestimmter Gegenstand hervorgebracht werden kann. Es ist Anschauung, also nicht Begriff, denn es ist das, was den Begriff mit dem Gegenstand vermittelt« (Syst. d. tr. Ideal. S. 283). Das transcendentale Schema ist »die sinnliche Anschauung der Regel..., nach welcher ein Object überhaupt oder transcendental hervorgebracht werden kann. Insofern nun das Schema eine Regel enthält, insofern ist es nur Object einer innern Anschauung. insofern es Regel der Construction eines Objects ist, muß es doch äußerlich als ein im Raum verzeichnetes angeschaut werden. Das Schema ist also überhaupt ein Vermittelndes des innern und äußeren Sinnes. Man wird also das transcendentale Schema als dasjenige erklären müssen, was am ursprünglichsten innern und äußern Sinn vermittelt«, nämlich die Zeit (l. c. S. 295 ff.). Als Gemeinbilder der Einbildungskraft faßt die »Schemen« LICHTENFELS auf (Gr. d. Psychol. S. 76 ff.). Ähnlich WEISS (Unt. üb. d. Wesen u. Wirk. d. menschl. Seele S. 160 f.), BIUNDE (Empir. Psychol. I 1, 244 ff.) u. a. – SCHOPENHAUER anerkennt nur empirische Schemate, flüchtige Phantasmen als Repräsentanten der Begriffe durch die Phantasie. Sie sind ein bloßes Hülfsmittel, um uns zu versichern, daß unser Denken noch realen Gehalt habe. Bei Begriffen a priori fallen sie weg, »denn diese sind nicht aus der Anschauung entsprungen, sondern kommen ihr von innen entgegen, um aus ihr einen Inhalt erst zu empfangen« (W. a. W. u. V. I. Bd., S. 448 f.). Nach F. A. LANGE ist das Schema »nicht ein Bindemittel zwischen Begriff und Anschauung, sondern es ist die unmittelbare psychologische Erscheinung des Begriffs« (Log. Stud. S. 134). Gegen die transcendentalen Schemate sind RIEHL (Philos. Krit. II 2, 61), WUNDT u. a. – E. DÜHRING nennt Schemate die Kategorien (s. d.). Er unterscheidet Weltschematik und Teilschemate (Log. S. 207).

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 281-284.
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