Bulle [2]

[592] Bulle (mittellat. Bulla), eigentlich Metallabguß von Siegelstempeln (s. Siegel), die zur Bekräftigung von Staatsurkunden gebraucht wurden; dann die Kapsel, die das einer Urkunde angehängte Siegel enthält; endlich die Urkunde selbst. Der Ausdruck wurde früher auch für die von Kaisern ausgestellten Urkunden gebraucht (am bekanntesten ist die Goldene B., s.d.), seit längerer Zeit aber bezeichnet man damit nur noch die feierlichen, besonders wichtigen (die weniger feierlichen und wichtigen heißen Breven, s.d.) Erlasse der Päpste. Das Siegel ist gewöhnlich aus Blei und zeigt auf der Vorderseite (antica) die Brustbilder der Apostelfürsten (Petrus und Paulus), auf der Rückseite (postica) den Namen des betreffenden Papstes. Werden sie vom Papst und den Kardinälen unterschrieben, so heißen sie B. consistoriales, wenn vom Papst allein, B. non consistoriales. Bullen, die ein Papst in der Zeit zwischen seiner Wahl und Krönung ausfertigt, fehlt der Name des Papstes auf der Rückseite (halbe Bullen). Die Bullen sind bis auf Leo XIII. auf starkes Pergament geschrieben, und zwar mit gotischen Buchstaben. Die Schnur, an der das Siegel hängt, ist bei Gnadensachen von weißer oder rotgelber Seide, sonst von grauem Hans. Die Sprache ist die lateinische, nur in Bullen an die unierten Griechen die griechische. Sie beginnen mit dem Namen des Papstes (unter Weglassung der Zahl) und dem Zusatze: servus servorum dei. Der Stil ist feststehend mit einer Reihe von herkömmlichen Klauseln. Zitiert werden die Bullen nach den Anfangsworten. Zu ihrer Gültigkeit ist in der Regel, soweit sie in das staatliche Gebiet eingreifen, das landesherrliche Plazet erforderlich. Papst Leo XIII. hat durch Erlaß vom 29. Dez. 1878 die gotische Schrift abgeschafft und das Beisiegel durch einen roten Druckstempel mit den Bildern der Apostelfürsten und dem herumgeführten Namen des Papstes ersetzt, außer bei Verleihungs-, Errichtungs- und Teilungsurkunden von höhern Benefizien und andern feierlichen Akten des päpstlichen Stuhles. – Die Ausfertigung der Bullen erfolgt durch die päpstliche Kanzlei, bez. eine eigne, zur Dataria gehörige Abteilung. Die berühmtesten päpstlichen Bullen sind: die Bullen Clericis laïcos und Unam sanctam, die Bonifatius VIII. 1296 und 1302 gegen Philipp den Schönen von Frankreich erließ; In coena Domini, 1362 von Urban V. gegen die Ketzer erlassen und später erweitert, eine feierliche Verfluchung aller Nichtkatholiken enthaltend; Execrabilis, von Pius II. 1460 erlassen, die Unterordnung der Konzile unter den Papst aussprechend; Exsurge Domine, von Leo X. gegen Luther 1520 erlassen und von letzterm verbrannt; Unigenitus, von Clemens XI. 1713 gegen die Jansenisten; Dominus ac Redemptor noster, Aufhebung des Jesuitenordens durch Clemens XIV., 1773; Ecclesia Christi, die B. über das Konkordat mit Frankreich von 1801; Sollicitudo omnium, Wiederherstellung des Jesuitenordens durch Pius VII., 1814; Ineffabilis, enthält das Dogma von der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria, 1854 von Pius IX. erlassen; die B. De salute animarum beschäftigt sich mit der Einrichtung der katholischen Kirche in Preußen, während durch die B. Pastor aeternus 1870 die päpstliche Unfehlbarkeit und Universalepiskopalgewalt verkündet ist. Die wichtigern päpstlichen Bullen und Breven sind in den sogen. Bullarien gesammelt, wovon verschiedene Ausgaben, z. B. von Cherubini (Rom 1586ff.), Cocquelines (das. 1738ff.), Tomasetti (Turin 1857ff.) u. a., vorhanden sind. Seit 1835 wird in Rom an der Fortsetzung des Bullariums von Cocquelines gearbeitet, von der bisher 20 Fortsetzungsbände vorliegen. Vgl. v. Pflugk-Harttung, Die Bullen der Päpste bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (Gotha 1901). Über die Zirkumskriptionsbullen s.d.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 592.
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