Gesundbeten

[751] Gesundbeten. Die Vorstellung, daß die Krankheiten Folgen der Sünden, wenn nicht der Patienten selbst, so doch der Menschheit im allgemeinen und deshalb am besten durch Gebet und Entsühnung zu heilen wären, hat schon öfter Propaganda gemacht, am meisten als Johann Nepomuk Ringseis (1785–1880) der Leiter des bayrischen Medizinalwesens, Direktor der medizinischen Klinik der Münchener Universität, diese Grundanschauung in seinem »System der Medizin« verkündete und die Münchener Heilanstalten veranlassen wollte, jeden Heilungsversuch mit Entsühnung des Kranken und des Arztes zu beginnen. Es bedurfte der Autorität eines Griesinger, Schönlein und Virchow, um dieses auch in Würzburg eingeführte System der christlichen Medizin zu bekämpfen. Seit einer Reihe von Jahren ist ein ähnliches Verfahren in Nordamerika durch Frau Mary Eddy (s.d.), daher auch Eddyismus genannt, unter dem Namen der christlichen Wissenschaft von neuem erweckt und zu einer ungeheuern Ausbreitung gebracht worden (Weiteres s. Christian science). Im J. 1901 hatte diese psychische Epidemie, bei der es sich höchstens um Erfolge bei nervösen Leiden durch Autosuggestion handeln kann, wie in andern europäischen Ländern auch in Berlin vorübergehend Anhängerschaft gefunden. In Amerika beginnt man, nachdem selbst der Widerspruch einsichtsvoller Geistlichen sich wirkungslos erwiesen hat, die Christian scientists als Kurpfuscher zu verfolgen, sobald Fälle bekannt werden, in denen der Patient verstorben ist, während der über dem G. versäumte ärztliche Beistand wahrscheinlich Hilfe gebracht haben würde. Vgl. Moll, Gesundbeten, Medizin und Okkultismus (Berl. 1902); F. Köhler, Die Gebetsheilung (Leipz. 1902).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 7. Leipzig 1907, S. 751.
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