Kirchenvisitation

[60] Kirchenvisitation, die von der obern Kirchenbehörde durch besondere Kommissare an Ort und Stelle vorzunehmende Untersuchung des gesamten kirchlichen Zustandes einer oder mehrerer Kirchengemeinden und der amtlichen Tätigkeit ihrer Geistlichen. Nach katholischem Kirchenrechte haben die K. die Bischöfe vorzunehmen. Mit der Entwickelung der Archidiakonatsverhältnisse überließen sie dieselben jedoch den Archidiakonen, bis die Synode zu Trient die Bischöfe an ihre Pflicht nachdrücklich erinnerte und zugleich die Zulässigkeit dervon Archidiakonen und andern niedern Prälaten vorzunehmenden Visitationen an ihre Genehmigung knüpfte. Seitdem führten mehr oder weniger die Bischöfe selbst oder durch Abgesandte die Aussicht über ihre Diözesen. Jetzt geschehen in der katholischen Kirche die Visitationen durch die Landdekane oder Bezirksvikare nach Anleitung einer bischöflichen Instruktion und auf Grund eines vom Pfarrer eingereichten Jahresberichts, der sogen. Pfarrelation. In der evangelischen Kirche dienen seit der von Luther empfohlenen, berühmten sächsischen K. von 1527–29 die Kirchenvisitationen ebenfalls als Mittel der Aussicht, indem die Superintendenten oder Dekane alljährlich die Amtsführung und den Wandel der Geistlichen, den Zustand des Unterrichts, die Verwaltung des Kirchenvermögens, die Führung der Kirchenbücher sowie den religiösen und sittlichen Zustand der Gemeinden untersuchen. Die Superintendenten unterliegen wieder der Visitation durch die Generalsuperintendenten oder ein andres Mitglied des Oberkirchenrats oder der Konsistorialbehörde. Neben den Spezialvisitationen der Superintendenten sind in manchen Ländern noch Generalvisitationen des ganzen Konsistorialbezirks durch Mitglieder dieser Behörde üblich, die sich in gewissen Zwischenräumen wiederholen. Berühmt ist Melanchthons »Visitationsbüchlein oder Unterricht der Visitationen an die Pfarrherrn im Kurfürstentum Sachsen«, das anläßlich der obenerwähnten großen sächsischen Generalvisitation geschrieben ward. Vgl. Burkhardt, Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen von 1524 bis 1545 (Leipz. 1879); Lingg,. Geschichte des Instituts der Pfarrvisitation in Deutschland (Kempten 1888); Kayser, Die reformatorischen Kirchenvisitationen in den welfischen Landen 1542–1744 (Göttingen 1897).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 11. Leipzig 1907, S. 60.
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