Llanos

[637] Llanos (span., spr. ljānos), die, erstrecken sich vom Orinokodelta an westwärts zwischen diesem Strom und den Abhängen des Karibischen Gebirges und der Kordillere von Merida, verbreitern sich dann jenseit des Rio Portuguesa immer mehr, nehmen einen Flächenraum von 881,000 qkm ein und ragen nirgends über 250 m auf. Die Flüsse haben sich tief in den Boden eingeschnitten, zwischen den Strömen liegende höhere Tafeln, Mesas (Tische) erheben sich daher über die Flußtäler. Der Boden besteht aus Breccien, Schutt, Sand und Kies, Lehm und Ton, die besonders an den Talflanken oft in ihrer Aufeinanderfolge gut aufgeschlossen sind. Hier und da ragen aus diesen diluvialen und alluvialen Zerstörungsprodukten archäische, paläozoische oder cretazeïsche Hügelreihen hervor, in Venezuela die aus Sandstein bestehenden Galeras, die aus der Ferne wie mauerartige Erhöhungen erscheinen und meist mit Wald bedeckt sind. Die meist trocknern Mesas bleiben hinter den tiefer gelegenen feuchtern Flußrinnen an Fruchtbarkeit zurück, und zwar bestehen besonders im Osten Abstufungen zwischen den L. altos an den Rändern der Gebirge und den L. bajos, die dem Orinoko näher sind. Steigt man von den höhern L. zu den tiefern hinab, so treten an Stelle der kurzen Gräser (2/3 m) der erstern solche von mehr als Reiterhöhe. Zur Trockenzeit treibt man deshalb die Viehherden aus den Altos in die Bajos. Im wasserreichern Westen ist die Pflanzendecke gleichmäßiger. Hier sind die auch in der Trockenzeit frischbleibenden Esteros, ausgedehnte, namentlich an den Ufern der großen Ströme gelegene Savannen, für die Bewohner der L. von unschätzbarem Werte. Die Regenzeit beginnt im April, das zur Wüste verdorrte Land bedeckt sich wieder mit üppigem Pflanzenwuchs, die Hitze nimmt während derselben bedeutend zu und steigt im Juli im Schatten auf 38–41°. Die gänzliche Trockenzeit dauert 5 Monate, Taubildung fehlt während derselben. Auf den Grasebenen herrschen fast nur die mannigfachen Formen der Cyperazeen und Gramineen (die Gattungen Paspalum, Kyllingia, Panicum, Antephora, Aristida etc.). Von dikotylen Gewächsen sind die sensitiven Mimosen von Bedeutung (Mimosa sensitiva, dormiens, intermedia), die sogen. Schlafkräuterdormideros«). Wo der Boden feucht ist, wachsen die frischgrüne Mauritiuspalme (Mauritia flexuosa) und die Schirmpalme (Corypha inermis), an trocknern Stellen unterbricht noch eine Proteazee (Rhopala complicata) die einförmige Savanne. Die L. sind gegenwärtig nicht mehr so baumlos wie vor 100 Jahren zur Zeit von Humboldts Reisen, da die Revolutionskriege eine starke Verminderung der Rinder- und Pferdeherden herbeiführten. Auch die Flüsse ziehen als umwaldete Streifen durch das Land, auf der Savanne selbst stehen größere Haine. Die Ebenen rechts vom Orinoko werden als Sabanas von den eigentlichen L. unterschieden. Der Fall der Gewässer ist ausnehmend gering, öfters beinahe unmerklich, der schwächste Wind oder der höhere Wasserstand des Orinoko kann das Wasser seiner Nebenflüsse rückwärts drängen. In Venezuela unterscheidet man mehrere Teile. In den L. von Cumaná und Barcelona sind die Flüsse zwischen den Mesas cañonartig eingeschnitten, und nahe dem Orinoko breitet sich eine große Sandwüste aus. Die L. von Carácas und Carabobo werden von kleinen Hügelreihen durchzogen, Bänken von zerbrochenen Sand- und Kalksteinlagern; Mesas erheben sich hier noch über 100 m. Die von zahlreichen, aus den Kordilleren kommenden Strömen bewässerten L. von Barinas werden von fruchtbaren Alluvialebenen eingefaßt; hier gedeihen sowohl Ackerbau als Viehzucht. In den sehr gleichmäßigen L. von Apure, den südlichsten Venezuelas, erscheinen neben großen Grasebenen mit vereinzelten Baumgruppen sogar große Urwälder, wie die Selvas de Camilo, de[637] Ticeporo u.a. Die dies Gebiet bewohnenden, zum Teil noch ganz unabhängigen Indianer (Guahibo, Saliva, Cabre, Aschagua, Schukuna, Enagua, Amarizano, Amorua, Äriko, Taura, Mitua, Guaipunabi, Maquiritareh, Schurujeh, Guaigua) stellen der Kolonisation kein Hindernis entgegen. Handel und Gewerbe werden nur in den wenigen kleinen Städten, wie Calabozo und San Fernando, getrieben. Die zur Kultur des Zuckerrohrs, der Baumwolle und des Tabaks geeigneten Uferlandschaften der Flüsse beginnen erst neuerdings ausgebeutet zu werden. Vgl. Sachs, Aus den L. (Leipz. 1879); S. Passarge, Die Besitzung El Caura in Venezuela (Berl. 1903); W. Sievers, Süd- und Mittelamerika (2. Aufl., Leipz. 1903).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908, S. 637-638.
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