Midrasch

[774] Midrasch (Plur. Midraschim, v. hebr. darasch, »forschen, untersuchen«), im weitern Sinne »Schriftforschung«, das tiefere Eindringen in den Geist des Gesetzes. Die Pflegstätte dieser Forschung hieß Bet ha-M. (Akademie, Lehrhaus). In früherer Zeit war das Lehrhaus Sitz des Synedrions (s. d.), in der Diaspora in allen jüdischen Gemeinden von einiger Bedeutung eine Hochschule für das Talmudstudium. – In übertragener Bedeutung bezeichnet M. eine Gattung von Sammelwerken der jüdischen Literatur, welche die Ergebnisse der Schriftforschung vieler Jahrhunderte bieten. Im Entwickelungsgang des M. kann man drei Perioden unterscheiden: 1) die Zeit des Schaffens von Hillel bis Gamaliel V., dem letzten Patriarchen (30–400 n. Chr.), 2) die Zeit des Sammelns (von 400–750) und 3) den Niedergang dieser Literatur (von 750–900). Die Midraschim werden entweder als halachische bezeichnet, weil in ihnen vorwiegend der Stoff des traditionellen Gesetzes (die Halacha, s. d.) behandelt wird, oder als haggadische (s. Haggada), weil in ihnen die eigenartige jüdische Homiletik früherer Jahrhunderte an das Schriftwort anknüpft und es nach ethischen, erbaulichen und historischen Motiven auf alle Lebensverhältnisse anwendet und nur andeutungsweise noch die Dezisionen der Halacha berührt. Zu der ersten Gattung rechnet man die Mechilta zum 2., Sifra zum 3. und Sifre zum 4. und 5. Buch Mosis, während der zweiten Art die Midraschim Tanchuma, Jelamdenu, die Pesikta des Rab Kahana, Pesikta rabbati, Pesikta sufarta, oder Lekach tob, der M. rabba zum Pentateuch und den 5 Megillot, M. Schemuel, M. Tehillim (Psalmen) und M. Mischle (Sprüche Salomos) und eine Fülle kleinerer Midraschim zuzuzählen sind. Ein umfangreiches Sammelwerk aus den Midraschim ist der Simon, dem Darschan (Prediger), in Frankfurt a. M. zugeschriebene »Jalkut«, ein midraschicher Kommentar zu den 24 Büchern der Bibel, der besondern Wert durch seine Quellenangaben hat. Um die korrekte Herausgabe der Midraschim haben A. Jellinek (s. d.), Horvitz, S. Buber (s. d.) und Theodor sich verdient gemacht; die meisten hat Wünsche in seiner »Bibliotheca rabbinica« (Leipz. 1880 ff.) ins Deutsche übersetzt. Vgl. Wünsche, Der M. Kohelet. Einleitung (Leipz. 1880); Winter und Wünsche, Die jüdische Literatur, Bd. 1, S. 371 ff. (Trier 1894); »The Jewish Encyclopedia«, Bd. 8, S. 548 ff. (New York 1904).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 13. Leipzig 1908, S. 774.
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