Ollivier

[45] Ollivier (Olivier, beides spr. olliwjĕ), Emile, franz. Staatsmann, geb. 2. Juli 1825 in Marseille, wurde 1848 Präfekt in Marseille, kehrte aber im Januar 1849 zur Advokatur zurück. Seit 1857 Mitglied des Gesetzgebenden Körpers, ward er der glänzendste Redner der kleinen Gruppe der fünf, aus denen die ganze Opposition bestand. Doch machte O. der Regierung keine systematische Opposition, billigte vielmehr die Politik des Kaisers in der italienischen wie in der deutschen Frage und verteidigte sogar 15. März 1867 die Einigung Deutschlands. Als 1869 die Neuwahlen herannahten, schrieb er über den liberalen Brief Napoleons III. vom 19. Jan. 1867 eine BroschüreLe 19 janvier«), in der er die Möglichkeit eines konstitutionellen Kaiserreichs auseinandersetzte, wurde im Gesetzgebenden Körper der Stützpunkt einer neuen Regierungspartei von gemäßigt liberalem Charakter und bildete 2. Jan. 1870 ein konstitutionelles Ministerium, in dem er das Portefeuille der Justiz und die oberste Leitung erhielt. O. merkte nicht, daß er nur ein Werkzeug in der Hand der bonapartistischen Hofclique war. Das Plebiszit, das darauf berechnet war, den absoluten Imperialismus zurückzuführen, ließ er nicht nur zu, sondern betrieb dessen Annahme mit allen Mitteln der Stimmenfälschung. Kompromittiert bei sämtlichen Liberalen, befangen durch die Schmeicheleien der Hofpartei, gab er sich dazu her, obwohl er im Grunde friedliebend gesinnt war, die Kammern und die öffentliche Meinung in den Krieg mit Preußen fortzureißen. So half er 15. Juli den Gesetzgebenden Körper durch die bekannte Erklärung täuschen und übernahm »leichten Herzens« die Verantwortung für die Folgen seiner Handlungsweise. Die ersten Niederlagen der französischen Armee führten 9. Aug. den Sturz seines Ministeriums herbei. Er zog sich zunächst nach Italien, dann nach Marseille zurück. Er schrieb: »Une visite à la chapelle de Médicis; dialogue entre Michel-Auge et Raphael« (1872); »Lamartine« (1874); »Principes et conduite« (1875); »L'Eglise et l'État an concile du Vatican« (1879, 2 Bde.); »Thiers à l'Académie et dans l'histoire« (1879); »Nouveau manuel de droit ecclésiastique français« (1885); »1789 et 1889« (1889); »Michel-Auge« (1891); »Solutions politiques et sociales« (1894). Seit 1895 veröffentlicht er eine umfangreiche, aber parteiische, zu seiner Rechtfertigung bestimmte Geschichte seines Ministeriums: »L'Empire libéral; études, récits, souvenirs« (bis 1905: 10 Bde.).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 45.
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