Ortsgerichte

[152] Ortsgerichte, auch Dorfgerichte genannt, staatliche, den Amtsgerichten unterstellte und mit Laien besetzte, für eine oder mehrere Gemeinden zur Erledigung einfacher Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständige Gerichte. Sie sind bei Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches an die Stelle der Gemeindeorgane getreten, die in manchen Gegenden in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständig waren (Schultheiße, Schöffen, Ortsvorsteher, Bürgermeister, Feld- oder Ortsgerichte). Auf Grund des preußischen Gesetzes über freiwillige Gerichtsbarkeit vom 21. Sept. 1899, Artikel 122 f., wurden für die Landteile, wo derartige Gemeindeorgane bestanden, durch Verordnung vom 20. Dez. 1899 O. gebildet. Sie bestehen aus einem Ortsgerichtsvorsteher und drei Gerichtsmännern. Den Vorsteher ernennt der Landgerichtspräsident, die Gerichtsmänner das Amtsgericht. Die Ernennung erfolgt ohne Beschränkung auf bestimmte Zeit. Als gewöhnlicher Ortsgerichtsvorsteher ist der Ortsvorsteher oder Bürgermeister gedacht. Die O. sind zuständig zur Sicherung des Nachlasses, ferner im Auftrag des Amtsgerichts zur Aufnahme von Vermögensverzeichnissen (Nachlaßinventaren) und zu freiwilligen öffentlichen Versteigerungen sowie öffentlichen Verpachtungen an den Meistbietenden. Auf Antrag eines Beteiligten dürfen sie ferner die Teilung gemeinschaftlicher Vermögensverträge, durch die Eltern ihren Kindern ihr Vermögen übergeben, sowie Ehe- und Erbverträge vorbereiten. [152] Endlich sind sie zur Beglaubigung von Unterschriften und dazu berechtigt, Gesindedienstverträge zu beurkunden sowie auf Antrag eines Beteiligten einseitige Willenserklärungen (z. B. Auslobungen) an Personen, die in ihrem Amtsbezirk wohnen, bekannt zu machen. Außerdem können die O. an den Amtsgerichten zu Hilfstätigkeiten herangezogen werden. In Hohenzollern, Homburg, Nassau, dem Gebiet von Frankfurt und den ehemaligen großherzoglich hessischen Gebietsteilen sind die O. zugleich Nachfolger der Feldgerichte insofern, als sie bei Feststellung und Erhaltung der Grenzen der Grundstücke und Gemeinden mitzuwirken berufen sind. In Nassau haben sie sich auch über Gegenstände der landwirtschaftlichen Polizei gutachtlich zu äußern, und an Orten, wo kein Amtsgericht ist, dürfen sie hier wegen der großen Zersplitterung des Grundbesitzes auch Grundstück-Kauf- und -Tauschverträge bis zum Werte von 500 Mk. beurkunden. Im Bezirk des ehemaligen Justizsenats Ehrenbreitstein ist mit dem Ortsgericht das Amt des Gemeindewaisenrats und des Schiedsmannes verbunden. In Hessen sind die O. Hilfsbehörden der Justiz, insbes. in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. In Sachsen und Reuß z. B. heißen sie Lokalrichter, Ortsgerichtspersonen; in Schwarzburg-Sondershausen ist für jeden Ort ein Ortsschätzeramt mit zwei Ortsschätzern bestellt.

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 15. Leipzig 1908, S. 152-153.
Lizenz:
Faksimiles:
152 | 153
Kategorien: