Protestantenverein

[393] Protestantenverein, Deutscher, strebt auf dem Grunde des evangelischen Christentums eine Erneuerung der protestantischen Kirche im Geist evangelischer Freiheit und im Einklang mit der Kulturentwickelung an. Der Gedanke, regelmäßig wiederkehrende Versammlungen zur Erreichung dieses Zweckes abzuhalten, wurde von badischen Theologen auf der Durlacher Konferenz im August 1863 angeregt. Man vereinigte sich zur Gründung und Einberufung eines deutschen Protestantentags, als dessen Hauptzweck die Anbahnung einer deutschen gesamtkirchlichen Nationalvertretung bezeichnet wurde. Auf der am 30. Sept. 1863 in Frankfurt a. M. abgehaltenen Vorversammlung wurde der Protestantentag in einen P. umgewandelt, der die theologische Arbeit zur Befreiung und Läuterung der Lehre von dem noch herrschenden Dogmatismus der protestantischen Wissenschaft zu überlassen, dagegen den Anbau des kirchlichen Verfassungs- und Gemeindelebens und die Förderung der praktisch-kirchlichen Tätigkeit als Hauptgebiet seiner Tätigkeit zu betrachten habe. Die endgültige Begründung des Vereins erfolgte 7. und 8. Juni 1865 in Eisenach. Nach den hier beschlossenen Satzungen will der P. insbes. dahin wirken, daß die Gemeinde der Hierarchie gegenüber zu ihrem Recht und dadurch auch zu wirklichem eignen Leben komme; er will alles, was die sittliche Kraft und Wohlfahrt des Volkes bedingt, zu fördern suchen und für diese Zwecke tüchtige Kräfte aus dem ganzen deutschen protestantischen Volke sammeln und vereinen. Die Mitglieder treten da, wo sich eine hinlängliche Zahl in einem Ort oder einem Bezirk findet, in Orts- oder Bezirks- oder Landesvereine zusammen und versammeln sich zeitweise zur Besprechung über wichtige Fragen. Diese besondern Vereine stehen mit dem Gesamtverein in Verbindung und haben ihre besondere Vertretung auf dem Protestantentag (22. Versammlung Berlin 1904). Die Leitung der Geschäfte liegt in der Hand eines Vorortes, der alle drei Jahre wechselt (zurzeit Berlin). Schon seit 1866 und noch mehr seit 1870 war der P. zugleich im nationalen Sinne tätig und hat auf seinen Versammlungen fast alle die Maßregeln, die in Preußen zum »Kulturkampf« und zur Neukonstituierung der evangelischen Kirche führten, zum voraus gefordert und befürwortet. Dabei hatte er unter entschiedener Ungunst fast sämtlicher Kirchenbehörden Deutschlands zu leiden. Seinen Anhängern wurden, wo sie von Gemeinden gewählt wurden, vom Gesetz nicht immer vorgesehene Kolloquia abverlangt und auf Grund derselben Bestätigung verweigert. Von der Generalsynode blieb der P. tatsächlich ausgeschlossen. 1904 zählte er 20 Zweigvereine mit etwa 25,000 Mitgliedern. Der zahlreichste Landesverband ist der »Protestantische Verein« der Pfalz. Organe des Protestantenvereins sind die zu Elberfeld erscheinenden »Protestantischen Flugblätter«, das zu Bremen erscheinende »Protestantenblatt« (früher »Deutsches Protestantenblatt«) und die von Websky (s. d.) redigierten »Protestantischen Monatshefte« (Berlin), die seit 1897 als wissenschaftliches Organ an die Stelle der »Protestantischen Kirchenzeitung« getreten sind.[393] In freundschaftlichen Beziehungen zum P. stehen der Niederländische Protestantenbund und der Schweizerische Verein für freies Christentum. Vgl. Schenkel, Der deutsche P. (neue Ausg., Wiesb. 1871); D. Schmidt, Der P., in zehn Briefen für und wider beleuchtet (Gütersloh 1873). Einen Überblick über die Entwickelung des Vereins gab Hönig in den »Verhandlungen des 17. deutschen Protestantentags« (Berl. 1888).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 16. Leipzig 1908, S. 393-394.
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