Seidl

[296] Seidl, 1) Johann Gabriel, Dichter, geb. 21. Juni 1804 in Wien, gest. daselbst 18. Juli 1875, wurde 1829 Professor am Gymnasium in Cilli, 1840 Kustos des Münz- und Antikenkabinetts in Wien, bis 1848 auch Zensor bei der obersten Polizei- und Hofzensurstelle, von 1850 an bis zu seinem Tode Redakteur der »Zeitschrift für österreichische Gymnasien«, 1856 Schatzmeister der kaiserlichen Schatzkammer, 1867 Regierungsrat, später Hofrat; 1872 trat er in den Ruhestand. Seit 1847 war S. Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften. Seinen lyrischen Gedichten sind fließende Sprache, Natürlichkeit und ungetrübter Frohsinn nachzurühmen. Auch in der Ballade und Romanze wie in der Dialektdichtung hat er manches Anerkennenswerte geleistet; dagegen haben von seinen dramatischen Gedichten nur die Lokalpossen: »'s letzte Fensterln« und »Drei Jahre nach 'm letzten Fensterln« Beifall gefunden und verdient. Die Titel seiner Gedichtsammlungen sind: »Dichtungen« (Wien 1826–29, 3 Bde.; neue Ausg. 1836), woraus die »Lieder der Nacht« (2. Aufl., das. 1851) besonders erschienen; »Flinserln, öst'reicharischi G'setz'ln, G'sang'ln und G'schicht'ln« (das. 1828–37, 4 Hefte); »Bifolien« (das. 1836, 5. Aufl. 1855); »Liedertafel« (das. 1840); »Gedichte in niederösterreichischer Mundart« (Gesamtausgabe, das. 1844) und »Natur und Herz« (Stuttg. 1853, 3. Aufl. 1859). Als Erzähler trat S. auf mit: »Erzählungen« (Wien 1828), »Georginen« (Graz 1836), »Novelletten« (Wien 1838), »Episoden aus dem Roman des Lebens« (das. 1839), »Wanderungen durch Tirol und Steiermark« (Leipz. 1840) und den Novellensammlungen. »Laub und Nadeln« (Wien 1842, 2 Bde.; 2. Aufl. 1845 u. 1871) und »Pentameron« (das. 1843). Von S. rührt der Text der österreichischen Volkshymne her, den er 1853 verfaßte. Auch epigraphische, archäologische und numismatische Werke hat S. veröffentlicht. Seine »Gesammelten Schriften« erschienen in 6 Bänden (Wien 1876–81), seine »Sagen und Geschichten aus Steiermark« gab Schlossar heraus (Graz 1881). Vgl. Hartel, Joh. Gabriel S. (Wien 1875); K. Fuchs, J. G. S. (das. 1904).

2) Gabriel, Architekt, geb. 9. Dez. 1848 in München, studierte an der dortigen Technischen Hochschule, war anfangs Maschinentechniker und wandte sich, nachdem er den Krieg gegen Frankreich mitgemacht, der Baukunst zu, die er bei Neureuther studierte. 1876 begann er seine Tätigkeit als Privatarchitekt, wobei seine Richtschnur von Anfang an die Belebung der heimischen Traditionen im neuen Sinne war. Seine auch durch sorgfältige Durchbildung der Innenräume ausgezeichneten Hauptwerke sind: das deutsche Haus am Karlsplatz (1878), die Wohnhäuser von J. C. Schoen in Worms und der Maler Lenbach und F. A. Kaulbach in München, die Villa Heyl in Darmstadt, das Schloß Büdesheim, die Bierhäuser zum Spatenbräu in München und Berlin, Münchener Kindl in Straßburg und Arzberger- und Franziskanerkeller in München, die St. Annenkirche in München (1888–1892), Schloß Repten in Schlesien für Graf Guido von Henckel-Donnersmark, Schloß Neubeuern am Inn für Baron Wendelstadt, Schloß Steinach bei Straubing, Villa Puricelli in Düsseldorf, das Museum der Pfalz in Speyer und vor allen das bayrische Nationalmuseum (s. Tafel »Museumsgebäude I«, Fig. 3 u. 5), das Künstlerhaus (s. Tafel »Münchener Bauten II«, Fig. 2) und das 1906 eröffnete Deutsche Museum in München. Auch hat er die Rathäuser in Ingolstadt und Worms restauriert. S. ist Ehrendoktor der Münchener Technischen Hochschule, Ehrenmitglied der bayrischen und Mitglied der preußischen Akademie der bildenden Künste. – Auch sein Bruder Emanuel, geb. 22. Aug. 1856 in München, hat eine große Reihe öffentlicher Gebäude, Schlösser und Villen erbaut, zuerst in einem reichen Barock, später in einer rein sachlichen modernen Bauweise.

3) Anton, Dirigent, geb. 7. Mai 1850 in Pest, gest. 28. März 1898 in New York, erhielt seine Ausbildung 1870–72 am Leipziger Konservatorium, arbeitete dann längere Zeit in der »Nibelungenkanzlei« zu Bayreuth unter Wagner, der ihn an Angelo Neumann empfahl, wirkte danach als Theaterkapellmeister unter Neumann in Leipzig, an dem wandernden Wagnertheater und in Bremen, folgte aber 1885 einem Rufe nach New York als Dirigent der deutschen Oper und brachte daselbst ein eignes Orchester[296] zu hohem Ansehen. 1886 war er in Bayreuth Mitdirigent der Festspiele und leitete 1897 die Londoner Wagner-Oper (Grau).

Quelle:
Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 296-297.
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