Exarchāt

[28] Exarchāt, 1) Gebiet eines Exarchen; bes. 2) des Exarchen von Italien. Das E. in weiterem Sinne begriff alle Besitzungen des oströmischen Kaisers in Italien nach der Vertreibung der Ostgothen durch Narses (552), also die heutige Romagna u. den Küstenstrich von Rimini bis Ancona, die Seegegenden um Genua u. ganz Unteritalien. Das Land stand unter einem kaiserlichen Statthalter (Exarchos), der in den größeren Städten wieder Herzöge anordnete, z.B. in Rom, Neapel etc., die jedoch eigentlich nur militärische Bedeutung hatten u. nebenbei die kaiserlichen Gefälle beaufsichtigten. Der Sitz des Exarchen war Ravenna, u. diese Stadt mit ihrem Gebiete, der jetzigen Romagna, machte das E. im engeren Sinne aus Zwar war Narses der Würde nach der erste kaiserliche Statthalter, welcher das Land dem Kaiser wieder erobert hatte, aber den Namen Exarch führte zuerst Flavius Longinus, der nach Narses Tode (567) nach Italien geschickt wurde. Seine Verwaltung war, wie die seiner Nachfolger, sehr eigennützig, doch hielt er die in Italien einbrechenden Longobarden noch von Ravenna ab, das er befestigen ließ; zu ihm floh Rosamunda, die Gemahlin des longobardischen Königs Alboin, u. heirathete ihn nach ihres Gemahls Tode. Da die Macht der Longobarden immer weiter um sich in Italien griff, ersetzte Kaiser Mauritius 584 den Longinus durch Smaragdus; dieser machte einen dreijährigen Frieden mit den Longobarden u. benutzte denselben, um die Geistlichen, bes. in Istrien, zur Beipflichtung der Verdammung der 3 Capitel zu zwingen. Da der Kaiser von den Istriern Abfall zu den Longobarden fürchtete, rief er 590 den Smaragdus ab u. schickte an dessen Stelle den Romanus als Exarchen nach Italien; dieser befestigte die byzantinische Macht wieder in Italien, starb aber 597 in Ravenna, u. sein Nachfolger Kallinikos machte einen, von dem Papst schon längst gewünschten Frieden mit den Longobarden. Doch brach er denselben bald wieder, indem er 601 Gottschalk, den Eidam des longobardischen Königs Agilolf, bei Parma fangen u. nach Ravanna bringen ließ. Agilolf verband sich darauf mit den Avaren u. verwüstete Istrien. Da er der Verheerung nicht vorbeugen konnte, wurde der Exarch zurückgerufen u. Smaragdus zum zweiten Mal nach Italien geschickt. Nachdem dieser mit den Longobarden einen neuen theuer erkauften Frieden geschlossen hatte, wendete er seine Aufmerksamkeit wieder der Kirche zu. 611 abberufen, hatte er den Johannes I. Lemigius zum Nachfolger. Zwar erhielt dieser um hohen Preis den Frieden mit den Longobarden, dagegen gerieth das Land selbst in Gährung, indem unerträgliche Erpressungen die Ravennaten 616 zur Empörung trieben u. die Ermordung des Exarchen mit seinem ganzen Anhange zur Folge hatten. Blutige Rache nahm dafür sein Nachfolger Eleutherius, ein Verschnittener; er unterdrückte auch den Aufstand des Johannes von Conza, der sich in Neapel von dem Kaiser unabhängig gemacht hatte, u. ließ ihn hinrichten. 619 erklärte er sich selbst für unabhängig von Constantinopel u. ließ sich als Kaiser des Occidentes ausrufen; als er indeß nach Rom ziehen wollte, um auch dort sich anerkennen zu lassen, wurde er von seinen Soldaten zu Buceolo ermordet. Unter Isaak, einem Armenier von Geburt, geschah 632 die Plünderung des päpstlichen Schatzes in Rom. Die Kriege mit den Longobarden begannen seit 641 von Neuem, die Griechen verloren alle Städte von Luni bis an das fränkische Gebiet u. Oderzo am Adriatischen Meere; 642 wurden sie am Penaro gänzlich geschlagen, u. als Isaak starb, war die griechische Herrschaft in Italien schon tief erschüttert. Sein Nachfolger Plato, um 645, beschäftigte sich nur mit kirchlichen Angelegenheiten; ebenso Olympius, seit 649, welcher auf einem Zuge nach Sicilien von den Sarazenen geschlagen, 653 starb. In den Streitigkeiten des Kaisers mit dem Papst Martin, welchen der Kaiser nicht anerkennen wollte, vermochte er kein günstiges Resultat zu erzielen; besser gelang dies seinem Nachfolger, Theodorus I. Kalliopas, welcher den Papst gefangen nehmen u. nach Constantinopel schaffen ließ. Zwischen 666 u. 678 war Gregorius Exarch, ihm folgte Theodorus II., der 687 in Ravenna starb, Johannes II. Platyn, 687–701, u. Theophylaktos, bis um 708, von diesen allen weiß die Geschichte nur zu berichten, daß sie durch Erpressungen u. Grausamkeiten die Erbitterung der Italiener gegen die Griechen immer mehr steigerten. Um das griechische Joch abzuschütteln, schlossen Classis, Cäsarea, Cervix, Cesena, Forlimpopoli, Forli, Bologna u. Faenza einen Bund (Dekapolis), schlugen den Exarchen Johannes III. Rhizokopo 711, nahmen ihn gefangen u. ließen ihn hinrichten. Sein Nachfolger, der Eunuch Eutychius, wurde schon 713 abberufen. Mit dessen Nachfolger Scholastikus sank das Ansehen der Statthalter, welche gewöbnlich in Rom residirten, immer tiefer herab, u. nur die Freundschaft der Longobarden, deren König sogar den Herzog Feroald von Spoleto zwang, das überrumpelte Classis dem E-e zurückzugeben, erhielt sie noch. Dagegen dauerten die Streitigkeiten mildem Papste fort, u. dies war für die griechische Herrschaft um so gefährlicher, als die Städte des eigentlichen E-s Partei für denselben nahmen u. auch die longobardischen Herzöge von Toscana u. Spoleto auf der Seite des Papstes standen. Bei einem Auflauf in Ravenna, wegen der Bilderverehrung, verlor der Exarch Paulus 728 das Leben. Abermals wurde Eutychius zum Exarchen ernannt; er wurde aber vom Papste, weil er demselben Nachstellungen gemacht hatte, in den Bann gethan. Trotzdem behauptete Eutychius die Herrschaft, nahm 729 Ravenna, welches die Longobarden, die Schwäche des griechischen Regimentes sich endlich zu Nutze machend, erobert hatten, erhielt mehrere andere Städte zurück u. verband sich mit dem König Luitprand, nachdem er denselben die ungehorsamen Herzöge von Benevent u. Spoleto hatte unterwerfen helfen, gegen Rom, söhnte sich aber mit dem Papste aus. Die Freundschaft mit den Longobarden dauerte indeß nicht lange; Luitprand eroberte von Neuem ein Stück des E-s. Der Exarch, ohne Unterstützung von Constantinopel, vermochte auch durch die Vermittelung des Papstes, die er anrief, nicht das Verlorene wiederzuerlangen. Luitprands Nachfolger, Aistulf, griff immer weiter, eroberte 752 Ravenna u. das ganze E. u. Eutychius floh nach Neapel. So war das E. in den Händen der Longobarden; da diese aber Rom beunruhigten, so bat der Papst Stephan II. den Frankenkönig Pipin um Hülfe; dieser zwang den König Aistulf, 754 das E. herauszugeben, befreite den Papst 755, wo Aistulf gegen Rom rückte, von der Belagerung u. schenkte[28] das ihm von den Longobarden abgetretene E. dem Päpstlichen Stuhle, welcher dadurch zu einer weltlichen Macht gelangte. So ging das griechische E. an den römischen Kirchenstaat über. Von nun an hat das E. die Schicksale des Kirchenstaates getheilt.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 6. Altenburg 1858, S. 28-29.
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