Genua [1]

[165] Genua (ital. Genŏva, spr. Dschenowa, fr. Gênes, spr. Schän), 1) Herzogthum im Königreich Sardinien; grenzt im Norden an Piemont, im Osten an Parma u. Modena, im Süden an das Mittelmeer, das hier den Meerbusen von G. (Golfo di Genova) bildet, im Westen an Nizza u. ist ein schmaler Küstenstrich von den Seealpen u. Zweigen des Ligurischen Apennin bedeckt, deren Berge kahl sind u. sich über 4500 Fuß erheben, wie der Monte Antola 4755 Fuß, M. Carmo 3900 F., M. Poggio 3486 F. u.a.; sie fallen schnell ab zu einer steilen Küste, welche tiefe Buchten, wie die von Rapallo u. Spezzia, u. einige gute Häfen hat. Die Flüsse, welche zum Meere fließen, als der Lerone, Vara, Magra etc., sind unbedeutende Küstenflüsse; bedeutender die zum Po fließende Trebbia, Scribia, Orba. Das Klima ist mild u. gesund, aber sehr unbeständig, u. das Land häufig wechselnden Winden ausgesetzt. Zum Anbau sind nur die Thäler geeignet aber auch an terrassirten Bergen werden Getreide, Wein, Südfrüchte, Mandeln, Feigen, Kastanien etc. gebaut; die Viehzucht liefert Rindvieh, Pferde, Esel, Schafe, Schweine; an mineralischen Producten gibt es Salz, Kalk, Gyps, Marmor, Alabaster, Asbest; die Industrie beschäftigt sich mit Fabrikation von Eisenwaaren in Hochöfen, Weberei, Gerberei, Papierfabrikation. Der Handel, in mehreren Städten, bes. der Hauptstadt getrieben, hat jetzt neuen Schwung durch Anlegung der Kunststraße über den Bocchettapaß nach Piemont u. der Lombardei, einer gleichen über die Apenninen nach Parma, anderer nach Nizza u. nach Livorno gewonnen; eine Eisenbahn führt von Novi bis G. u. von da an der Küste bis Voltri; 110 QM., 655,500 Ew., Genuesen, Abkömmlinge der alten Ligurer; sie reden eigenen Dialekt, sind arbeitsam, handelsluftig, katholischer Confession, theilen sich in Adel (alter u. neuer, fast einzige Eigenthümer des Bodens), Clerus (hoher u. niederer), Bürger u. Bauern. G. hat nur noch in so fern eine, 1815 verwilligte repräsentative Verfassung, als ein ständisches Collegium von 30 Mitgliedern in jedem Bezirk seine Zustimmung zu neuen Steuerauflagen gibt. G. wird zunächst eingetheilt in Riviera di Levante, östlich der Stadt, Riviera di Ponente, westlich derselben, beide wieder in einzelne Intendanzen. 2) Hauptstadt des Herzogthums, im innersten Winkel des Golfes, in der Riviera di Levante, in der Volkssprache Zeina, wegen seiner herrlichen Paläste gewöhnlich La Superba (die Prächtige) genannt. Sie erhebt sich amphitheatralisch am Meerbusen u. wird von einer doppelten Mauer umschlossen; die innere, 6 Miglien lang, zieht sich in einem Halbkreise um die Stadt, die äußere, 18 Miglien, läuft über die, im Norden der Stadt liegende Hügelreihe u. begreift die Festungswerke mit, welche meist in hohen u. breiten revelirten Werken bestehen; ein sehr fester Platz ist die Schanze Lanterna, der Schlüssel der Festung ist die Spornschanze, innerhalb der äußeren Mauern; außerhalb derselben sind noch drei detachirte Werke vorhanden. Der Hafen, einer der bedeutendsten im Mittelmeere, bildet einen Halbmond u. ist 1800 Klaftern im Durchmesser; da, wo die innere Stadtmauer aufhört, schließen sich die Molos, in Osten der Molo vecchio, in Westen der M. nuovo, an u. nähern sich im Meere bis auf 250 Klaftern; durch diese Öffnung, welche durch starke Batterien vertheidigt wird, laufen die Schiffe, jedoch nicht ganz gefahrlos, ein, da der Hafen nicht gegen den Südwestwind geschützt ist. An dem westlichen Molo liegt die Quarantäneanstalt, vor dieser das Wachtschiff des Hafens, hinter derselben auf einem 100 Fuß hohen Felsen der Leuchtthurm, an dessen Fuß man neue Befestigungen angelegt hat. An der Nordseite des Hafens ist das Arsenal (Darsena), der Bauhof für Staatsschiffe (wo Fiesco umkam); an der Ostseite ist der Freihafen; er hat nur zwei Ausgänge, den einen nach dem Meer, den andern in die Stadt durch die Zollstadt (Dogana), über deren Eingang ein Stück der Hafenkette von Pisa hängt, welche die Genueser 1290 sprengten. Die Stadt selbst nimmt einen engen Raum ein u. liegt an steilen Felsabhängen mit ihren engen unregelmäßigen u. meist nur zu Fuß zugänglichen Straßen; jedoch gibt es auch gerade u.[165] schöne Straßen, namentlich die Via Balbi, V. nuova, V. novissima, V. Carlo-Felice, am Hafen, wo man herrliche Häuser u. Paläste von 5–9 Stockwerk hoch findet, auch die Via S. Tomas, die nach dem Leuchtthurm führt u. als Spatziergang dient. Von öffentlichen Plätzen, die bei der Unebenheit des Bodens nicht groß sind, gibt es 24 beträchtlichere, nämlich die Piazza dell'acqua verde, mit dem Monument des Cristofero Colombo, ist Winterpromenade; Piazza Banchi mit der Börse, Sammelplatz der Handelsleute, Vetturins, Schiffer etc., P. dell'Anunziata, wo Miethwagen u. Portechaisen zu haben sind; auf dem P. nuovo werden Wochenmärkte gehalten, der Platz Fontane Amorose, Carlo-Felice u. San Domenico; Kirchen u. Kapellen 250; darunter die ältere Kathedrale San-Siro, worin die Volksversammlungen u. Dogenwahlen stattfanden, im 6. Jahrh. erbaut, im 17. Jahrh. erneut; die neuere S. Lorenzo, im germanisch-lombardischen Styl erbaut, 1118 eingeweiht, dann mehrmals u. zuletzt 1540 restaurirt (hier wird in der Sakristei der Sacro Catino [s.d. unter Salomo] aufbewahrt). Die größte Kirche nach der Kathedrale ist S. Annunziata, im 17. Jahrh. gebaut; S. Maria di Carignano, deren Treppe immer mit Bettlern besetzt ist; S. Stefano, mit dem großen Altargemälde, der Steinigung des Heiligen, von Romano gemalt; S. Matteo, mit dem Grabmal des Andr. Doria in einer unterirdischen Kapelle. Unter den Palästen zeichnen sich aus: der Palazzo della Citta od. P. Ducale, ehemalige Residenz der Dogen, jetzt Sitz des Senats, mit der Sala di gran consiglio, wo sich der Senat versammelt; der P. Marcello Durazzo, letzt Reale, u. P. Giacomo Filippo Durazzo in der Via Balbi, beide mit reichen Gemäldesammlungen; am reichsten daran ist der P. Brignole, wegen seiner rothen Marmorüberkleidung gewöhnlich P. rosso genannt, wo vier Salons nach den Jahreszeiten benannt sind; ein fünfter heißt Vita umana. Kunstsammlungen findet man auch im P. Pallavicini, wegen seiner vielen Springbrunnen delle Peschiere, mit vortrefflichen Gartenanlagen u. Aussichten; im P. Pasqua u. P. Grillo Cataneo; im P. di Giov. Carlo di Negro, eigentlich einer Villa, artistische, literarische u. naturhistorische Sammlungen; der P. dei Padri delle Commune, wo die Erztafel mit dem Gutachten des römischen Senats über eine Streitigkeit der Genueser u. ihrer Nachbarn (s. unten, Gesch.) aufbewahrt wird; im P. d'Andrea Doria, mit der Statue des Doria, einem kolossalen Jupiter etc. G., einst Residenz der Dogen, ist jetzt noch der Sitz eines Erzbischofs, des Gouverneurs, einer Generalintendanz, eines Admiralitätsrathes, des Senats, Obertribunalraths, der Verwaltungsbehörden, eines Handelsgerichts, der Börse, der ältesten Bank. Wissenschaftliche, Lehr- u. Kunstanstalten: die 1812 gestiftete Universität, in einem eigenen Gebäude, unter Leitung der Jesuiten mit 36 Professoren, verbunden mit Bibliothek, Botanischem Garten, Naturaliencabinet u. physikalischer Sammlung; die Akademie der schönen Künste, mit einer Kunstschule; königliche Marine- u. Schifffahrtsschule, Medicinische Schule, Taubstummeninstitut (1801 vom Abbate Ottavio Ossarotti gestiftet); 1817 wieder hergestelltes Jesuitencollegium, mit Noviziat, Theologisches Seminar, College. Bibliotheken u. Archive: Universitätsbibliothek (mit 45,000 meist theologischen Büchern), die der Padri missionari urbani bei S. Matteo (mit einem Theil der Handschriften, welche Bischof Filippo Sauli dem Hospital vermachte), die Bibliothek Berio (der Stadt vom Abbate Berio 1773 geschenkt) u. die Bibliothek Durazzo; das Archiv des Staatsraths (darin die dem Cristos. Colombo von Ferdinand dem Katholischen ertheilten Privilegien), das Archiv der Bank, dessen Urkunden mit 1179 beginnen. Die Fabrikation ist ansehnlich u. arbeitet in Seide, Sammet, Damast, Bändern, künstlichen Blumen, Wachstuch, Hüten, Papier, Seife, wohlriechenden Wassern, Maccaroni, eingemachten u. Zuckerwaaren, Korallen, Marmor, Alabaster, Elfenbein, Gold, Silber, Kupfer; auch hat die Regierung eine Waffenfabrik eingerichtet. Die Facchini haben ausschließlich das Recht, das Gepäck der Fremden in der Stadt zu tragen; die Caravana sind die Packträger im Freihafen, die seit 1340 Bergamasken aus den Gemeinden Piazza u. Zugno, u. seit 1832 auf 200 eingeschränkt sind. Der Handel ist sehr bedeutend, bes. nach der Levante u. nach Smyrna; ausgeführt werden, außer den genannten Fabrikaten, bes. Südfrüchte, die nebst Obst täglich auf zahlreichen Eseln zu Markte gebracht werden. Auch der Wechsel-, Transito- u. Commissionshandel ist sehr bedeutend. Der Handel wurde sehr unterstützt durch die Bank (Compera di S. Giorgio), eine der ältesten Handelsgesellschaften, die 1815 aufgelöst worden ist u. in dem großen Saal S. Giorgio über der Dogana ihren Sitz hatte; jetzt durch die 1816 bestätigte Handelsgesellschaft. Münzen, Maße u. Gewichte s.u. Sardinien (Geogr.). Wohlthätigkeitsanstalten hat G. 42; die wichtigsten sind das Große Spital (Ospedale grande), für Kranke u. Findlinge (deren gewöhnlich an 3000 hier sind); das Kleine Spital (Ospitaletto) für unheilbare Kranke (daher auch Ospidale degli incurabili), das Armenhaus (Albergo dei poveri), von einem Brignole gestiftet, für 2000 Menschen; evangelisches Hospital; das Waisenhaus der Familie Fiesco (Conservatorio delle Fieschine) für 300 Hülfsbedürftige, meist Kinder, die künstliche Blumen verfertigen. Anstalten zum Vergnügen: das 1828 erbaute Teatro Carlo Felice, das Theater S. Agostino bei der Brücke Carignan, T. delle Vigne, des Falcone, in dem kleinen, neuerbauten S. Pietro u. Arena; man spatziert häufig auf der oben genannten Straße von S. Tomas, wo man eine herrliche Meeraussicht hat, eben so besucht man, bes. Abends, die 80–90 Fuß hohe, 15 Fuß breite, 170 Schritte lange Brücke Carignano; auch die Aqua Sola u. der hohe Wall bieten herrliche Promenaden u. Aussichten. Zu den Lustörtern der Umgegend gehören der Garten des Nobile Lommelino, die Villen Tomellini, Brignole, Zardino mit Botanischem Garten, V. Durazzo in Conegliano mit Naturhistorischem Museum; die Gesundbrunnen Aqua Santa u. Voltaggio. Der gemeine Mann besucht an Sonn- u. Festtagen die Weinberge in den Vorstädten. Die schönste Aussicht bietet das Meer nach der Stadt, weshalb häufig, bes. von Fremden, Luftfahrten weit in den Golf hinaus gemacht werden, wo sich dann der Hafen mit dem Leuchtthurme u. dem herrlichen Küstenlande, die ganze Stadt mit ihren Palästen u. Domen, hinter ihr die Festungswälle u. zahlreiche [166] Gärten, im Hintergrunde rechts die kahlen Apenninen u. links die schneebedeckten Alpen präsentiren. Berühmt sind auch die Casazze, kirchliche Prozessionen, die durch den Schimmer der Landestrachten bes. interessant werden. Die Bewohner, 140,000, sind thätig, kräftig u. betriebsam, wie kein anderes italienisches Volk, gelten aber für unzuspräche ein harter, schwer verständlicher Jargon. Das Klima ist im Winter mild, im Sommer ungesund wegen zu großer Hitze u. wegen des schlechten Wassers, das durch den 12 Miglien langen Aquäduct in Bleiröhren aus dem östlich von der Stadt fließenden Bisagno in dieselbe geleitet wird. Vgl. Gauthier, De la ville de Gênes. Par. 1818; Guide de G. et ses environs, Genua 1837; Bertollotti, Viaggio della Liguria marittima, Turin 1834, 3 Bde.; Descrizzione di Genova e del Genoverato, Genua 1846, 3 Bde.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 165-167.
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