Börse

[105] Börse, 1) in großen Handelsstädten der Ort (ein freier Platz od. ein Gebäude), an welchem sich handeltreibende Personen entweder täglich od. an gewissen Tagen der Woche zu einer bestimmten Tageszeit (Börsenzeit) versammeln, um Waaren u. Werthe (Geld od. Werthpapiere) persönlich zum Verkauf anzubieten od. zu kaufen. Der locale Begriff wird auch übertragen auf 2) die Versammlung der Geschäftsleute selbst u. im weitesten Sinne umfaßt das Wort 3) den Geld- u. Waarenmarkt eines Landes überhaupt, weil das Börsengeschäft der Regulator für die Preise der Waaren auch im kleinen Geschäftsverkehr ist.

I. Zweck u. Ursprung. Der Zweck u. Nutzen der B. ist, den kaufmännischen Verkehr zu erleichtern, indem der Verkäufer einer Waare, statt schriftlich od. persönlich jede einzelne Person aufzusuchen, von welcher er glaubt, daß sie etwa Bedarf habe, mit großer Mühe- u. Zeitersparniß auf der B. sein Angebot mündlich anbringen, zugleich aber auch erfahren kann, ob von der betreffenden Waare große od. geringe Vorräthe am Platze sind, wie groß die Nachfrage u. das Angebot ist u. wie hoch er demgemäß den Preis seiner Waare halten kann. In ähnlichem Falle befindet sich der Käufer, welcher nach einem od. mehreren Artikeln sucht. Viel wichtiger noch ist die B. für den Handel mit Wechseln od. Werthpapieren, welche der Bankier schnell zu veräußern wünscht. An der B. findet er Kaufleute, die auf diesen od. jenen Platz Rimessen zu machen haben, Capitalisten, die ihr baares Geld in rentabeln Papieren anzulegen wünschen, Inhaber von Wechseln u. Papieren, für welche er in Folge an ihn gerichteter Aufträge Verwendung hat, so daß in kurzer Zeit durch Tausch u. Verkauf bedeutende Summen umgesetzt werden können. Den Ursprung des Namens leitet man von einem Hause in Brügge ab, wo die Kaufleute Geschäfte halber zusammenzukommen pflegten u. welches nach dem Namen des Besitzers van der Beurse genannt wurde; nach Anderen kommt die Benennung von einem zu ähnlichen Zwecken benutzten Hause in Amsterdam, an welchem über der Thür drei in Stein gehauene Geldbeutel (Bourses) angebracht waren, od. überhaupt von dem mittellateinischen Bursa, welches auch eine jede Zusammenkunft bedeutet, besonders wenn sie auf gemeinschaftliche Kosten geschieht. Eine Art B. kommt schon bei den Römern vor, indem an dem mittlern der 3 Durchgangsbogen (Janus medius) auf dem Markte allerhand Geldgeschäfte gemacht wurden. Zusammenkünfte von Kaufleuten fanden schon im Mittelalter an großen Seeplätzen zum Behuf des Waareneinkaufes Statt. Geregelt u. geordnet erscheint diese Art des kaufmännischen Verkehrs erst im 16. Jahrh., wo zuerst der Name B. in Holland u. Frankreich (Bourse) zur Bezeichnung derselben gebräuchlich wird u. die regelmäßigen Versammlungen des Handelsstandes in bes. dazu eingerichteten Gebäuden stattfanden. Eines der ältesten dieser Gebäude war die Antwerpener B., nach welcher 1565–67 die Londoner B. gebaut wurde. Das von Holland nach England überkommene Börsengeschäft bildete sich hier weiter aus u. wuchs an Umfang sowohl in Bezug auf den Umsatz von Waaren wie auch auf die Zahl der Personen, welche sich daran betheiligten, von Jahr zu Jahr. Neben dem Waarenhandel bildete sich das Fondgeschäft aus, u. neben den wirklichen Händlern tauchten bald auch die Speculanten auf u. legten den ersten Grund zu dem sogenannten Börsenspiel, welches in dem letzten Decennium in Frankreich seine höchste Blüthe erreichte. Die erste B. in London, welche 1666 abbrannte, wurde Royal-Exchange (spr. Roll-Extschähndsch) u. nach ihr alle englischen B-n Exchanges genannt. Ähnliche Institute entstanden nun nach u. nach an allen Knotenpunkten des Handels. u. Verkehrs auf dem Continent, so in Hamburg, Paris, Berlin, Wien etc. u. mit dem Ausblühen der Vereinigten Staaten in New-York, Philadelphia etc. u. den Stapelplätzen des ostindischen Handels. Je bedeutender die Handelsbewegung durch den überseeischen Verkehr wurde, desto größer wurden auch die Schwankungen der Preise, namentlich von Producten, die einem schnellen Verbrauche unterworfen sind. Das Geschäftsleben an der B. mußte in demselben Maße zunehmen, weil hier die einzige Gelegenheit geboten war, genaue Erkundigungen über den momentanen Werth einer Waare einzuziehen u. daraus durch Verkauf od. Kauf Nutzen zu ziehen. Gleichen Antheil an der Zunahme des Börsenverkehrs hatte die mit dem Wachsen der Staatsschulden verbundene Creirung von Staatspapieren u. das Entstehen großer industrieller Gesellschaften, deren Actien gleich jenen auf den Markt gebracht wurden. In Folge dessen trat an den großen Handelsplätzen, zuerst in London, eine Trennung der Börsengeschäfte ein. Das Waarengeschäft erhielt ebenso wie das Fondgeschäft (Stock-Exchange) seine besondere B. Später sonderten sich an einzelnen Handelsplätzen, deren Handel in gewissen Waarengattungen von vorwiegender Bedeutung wurde, von den ersteren noch specielle Geschäftszweige, als Getreide-B., Kohlen-B., Ol-B. etc. ab. An Seeplätzen bildeten sich außerdem B-n für das Versicherungswesen (Lloyds, s.d.) aus, so namentlich in London u. Triest.

II. Der Börsenverkehr wird durch Börsenordnungen regulirt u. von Staatswegen überwacht. Das Recht auf der B. Geschäfte zu machen, ist in einigen Städten auf die Kaufmannschaft od. auch nur auf einen Theil derselben (Börsenmitglieder) beschränkt, an anderen, wie z.B. in Hamburg, ist es Jedem, Banquerottirer ausgenommen, gestattet, die B. zu besuchen. Die Aufsicht wird von Börsenvorstehern (in Hamburg Börsenalte) geführt, welche von der Kaufmannschaft zu diesem Amte erwählt werden. Die Kanzleigeschäfte werden von Börsencommissarien, Buchhaltern, Boten u. Börsenschließern besorgt. Das Publikum, welches an der B. verkehrt, läßt sich in drei Klassen scheiden. Die zahlreichste u. wichtigste Klasse ist die der Makler (s.d.), welche vom Staate vereidigt, gegen gewisse Procente für Rechnung Dritter Geschäfte zu machen berechtigt sind. Neben diesen gibt es auch Käufer od. Verkäufer für eigene Rechnung u. endlich Agenten, welche unerlaubter od. geduldeter Weise für Dritte Geschäfte vermitteln (vgl. Bönhase 3). Die Verkäufe finden entweder durch öffentliches od. durch privates Angebot Statt. Das erstere (La criée) ist namentlich in Paris gebräuchlich, wo ein Theil des Börsenraumes zu diesem Zwecke gls Parket abgegrenzt ist. Innerhalb des Parkets befindet sich wieder ein von einem Gitter umzogener runder Platz (La corbeille), von wo aus die Makler laut ausbieten was ihren zum [105] Verkaufe an die Hand gegeben ist. Die Gegengebote erfolgen ebenfalls laut, wie bei einer Auction, u. das höchste dient zur Normirung des Curses. Wo das private Angebot gebräuchlich ist, wird am Ende der B. als Curs der verschiedenen Waaren, Effecten etc. der Mittelpreis angenommen. zu welchem die Makler ge- od. verkauft haben. Der Börsenvorstand veröffentlicht darnach die officiellen Börsencurse (s. Cursbericht). Die täglichen Besucher der B. haben in der Regel einen bestimmten Börsenstand, zu dessen genauerer Abmessung auf einigen B-n eine Abtheilung des Fußbodens in numerirte Felder vorgenommen ist. Auch gruppiren sich die Börsenbesucher nach ihren Geschäftszweigen zusammen, so daß der Verkehr dadurch sehr erleichtert wird. Waaren selbst werden nicht an die B. gebracht, wohl aber Proben, nach denen gekauft wird. In einzelnen Handelsstädten werden auch Börsengeschäfte unerlaubter od. geduldeter Weise an Orten abgeschlossen, die nicht eigentlich dazu bestimmt sind (Winkelbörsen), namentlich an Feiertagen, wo die Börsenlocale gesetzlich geschlossen sind. Die dort gemachten Curse finden auch wohl Aufnahme in die (nichtofficiellen) Cursberichte, so u.a. in Paris die Curse des Café Tortoni u. der Passage du panorama. Die B-n kleinerer Handelsstädte sind im Allgemeinen von denen der großen abhängig u. haben nur für gewisse Waaren u. Werthpapiere, die an den großen B-n weniger gesucht werden, ein selbständiges Leben. So ist auch die Cursnotirung an großen B-n für einzelne Waaren u. Papiersorten von mehr od. weniger localer Bedeutung, u. nur der Geld- od. Wechselcurs, der Curs der Staatspapiere u. der Actien solcher Unternehmungen, in denen ein bedeutendes inländisches wie ausländisches Capital arbeitet, influirt auf die Cursnotirung anderer B-n. Seit die Telegraphenverbindungen zur Mittheilung fremder Cursberichte dienen, ist die wechselseitige Beziehung der großen B-n zu einander so innig geworden, daß die Cursnotirungen nur um ein Geringes differiren. Zugleich haben die B-n als die Vermittler aller großen Finanzoperationen für den Staat an Bedeutung gewonnen u. die Stimmung der B., flau od. animirt, gilt, wenn auch oft mit Unrecht, als Maßstab für den Staatscredit u. für die Sicherheit der politischen Zustände. Um die Stimmung zu beleben, machen daher auch wohl die Staatsregierungen direct od. indirect ihren Einfluß geltend. So ist dies vorzugsweise in Frankreich geschehen, wo der Staat große Speculanten in ihren Operationen begünstigte, um als Gegendienst sich ihres Einflusses zur Hebung des Staatspapiercurses zu bedienen. Durch eine derartige künstliche Ablenkung des Verkehrs von seiner naturgemäßen Bahn, kann wohl für eine gewisse Zeit, nicht aber für die Dauer das gehoffte Resultat erzielt werden.

III. Die Börsengeschäfte selbst sind entweder Tagesgeschäfte, bei denen an demselben Tage, an welchem das Geschäft geschlossen wird, Waare gegen Geld geliefert wird (opérations au comptant), od. es sind Zeitgeschäfte (à terme), bei denen die Waare zu einem bestimmten Termine von dem Verkäufer geliefert u. von dem Käufer abgenommen werden muß. Der über ein derartiges Lieferungsgeschäft abgeschlossene Vertrag, Schluß- od. Engagementsbrief kann durch Cession in zweite u. dritte Hand übergehen. Der Termin der Realisirung ist gemeiniglich Medio od. Ultimo eines Monats gestellt, so daß zu diesen Zeitpunkten in Folge der abzuwickelnden Engagements das Börsengeschäft bewegter als sonst ist u. die Curse größeren Schwankungen ausgesetzt sind. Die Zeit- od. Speculationsgeschäfte sind theils reelle (wirkliche), theils imaginäre Geschäfte. Im ersteren Falle (Kauf auf Lieferung fix) haben Käufer u. Verkäufer die wirkliche Absicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt Waare gegen Geld zu tauschen, u. jeder rechnet darauf, dadurch zu gewinnen, daß zur Zeit der Realisirung des Geschäftes (fin, Schlußtag, Settling day), der Tagescurs zu seinen Gunsten höher, resp. niedriger stehen werde. Im letzteren Falle ist es von vorn herein die Absicht weder des Käufers noch des Verkäufers, die Waare in natura zu liefern, resp. abzunehmen, sondern am Tage, wo der Kauf zur Liquidation kommen soll, macht sich der Käufer od. Verkäufer, welchem das Geschäft zum Nachtheil geworden, durch Zahlung einer Prämie (Prämiengeschäft) od. durch Zahlung der Cursdifferenz (Differenzgeschäft) von der übernommenen Leistung frei. Das Prämiengeschäft kann unter verschiedenen Bedingungen abgeschlossen werden u. führt dann je nach der Art derselben einen besonderen Namen. Hat der Käufer sich das Recht vorbehalten, die gekauften Werthe jeden Tag innerhalb eines bestimmten Zeitraums verlangen zu können, so nennt man dies ein Wandelgeschäft; sind beide Contrahenten übereingekommen, einen Theil der Werthe gegen eine Cursvergütung (Prämie) nicht liefern, resp. nicht abnehmen zu brauchen, so nennt man es Schluß aus six u. offen; dem entgegengesetzt ist das Noch- od. Nachgeschäft, bei welchem es dem Contrahenten freisteht eine Anzahl Werthe mehr zu verlangen, resp. zu liefern, als ausbedungen war. Complicirter ist das Stellgeschäft, bei welchem ein Contrahent (Wähler) die Wahl hat, an einem bestimmten Tage die ausbedungenen Werthe dem Andern (Steller) zu liefern od. sie von ihm zu beziehen. Für die freigestellte Wahl vergütet der Wähler dem Steller einen gewissen Procentsatz vom Course (Prämie). Verpflichtet sich der Käufer eines Papiers, dasselbe an einem bestimmten Tage dem Verkäufer zu einem verhältnißmäßig höheren Preise zurückzuliefern, so entsteht das Prolongationsgeschäft (Marché à reports), welches genau genommen der Beleihung eines Werthes gleicht, welchen der Besitzer als Unterpfand gibt, um sich Geld zu anderen Speculationen zu verschaffen. Obgleich die meisten Prämiengeschäfte namentlich in Papieren (in Waaren werden sie seltener abgeschlossen) schon in die Kategorie des Spiels fallen, so haben sie doch nicht das Gepräge einer bloßen Wette, wie es beim Differenzgeschäft der Fall ist.

IV. Das Börsenspiel, Die Differenz sowie alle Speculationsgeschäfte, welche über die Kräfte des Speculanten gehen, so daß derselbe am Schlußtage nicht im Stande ist, die versprochene Waare zu liefern (unbedeckter [Blanco-] Verkauf) od. abgethan wird, d.h. das Geld zur Deckung einer Waarenquantität nicht schaffen kann, faßt man unter dem Namen Börsenspiel (engl. Stockjobbebery, franz. Agiotage, Jeu de la bourse) zusammen. Die Börsenspieler führen in Frankreich den Namen Coulissiers, in England nennt man[106] sie Jobber. Wird dieses Spiel mit betrügerischen Mitteln betrieben, od. erreicht es eine Höhe, bei welcher die Spieler ohne Berechnung sich von der Hoffnung auf Gewinn od. der Furcht vor Verlust. am Kauf resp. Verkauf à tout prix hinreißen lassen, so nennt man es Börsenschwindel. Das Börsenspiel u. der Börsenschwindel verdanken ihren Ursprungun den Engländern, welche Nation jetzt in Folge langer Erfahrung sich durch Behutsamkeit u. kühle Berechnung in Finanzoperationen auszeichnet. Anfangs waren es Waaren, deren Preisschwankungen zum Börsenspiel verlockten, so um die Mitte des 17. Jahrh. die Tulpenzwiebeln, welche damals zu unglaublichen Preisen verkauft wurden, bis die Tulpenliebhaberei nachließ u. in Folge davon eine Menge Speculanten um ihr Vermögen kamen. Später waren es die Staatspapiere, denen sich die Speculation im Großen zuwandte, namentlich seit der Französischen Revolution, in neuester Zeit aber warf sich dieselbe mit Vorliebe auf die Creditpapiere, Eisenbahn- u.a. Actien, weil das Steigen u. Fallen derselben für Gewinn u. Verlust größere Chancen bot, als die in Friedenszeiten nur um wenige Procente in langen Zeiträumen schwankenden Curse der Renten, Staatsanleihen etc. Eine frühere kurze Periode des Actienschwindels trat um 1720 in England mit der Gründung der Südseegesellschaft u. in Frankreich in Folge der Law'schen Finanzoperationen ein. Sie brachte eine furchtbare Börsenkrise hervor, indem die Erschütterung des Vertrauens ein allgemeines Zurückziehen des baaren Capitals vom Geldmarkt u. damit eine langdauernde Handelsstockung zur Folge hatte. Von Waaren, mit denen noch jetzt an der B. gespielt wird, sind vornehmlich Getreide, Öl, Spiritus u. Baumwolle zu nennen. Die Schwankungen der Preise haben bei diesen, wie bei den Werthpapieren, neben ihren natürlichen auch ihre künstlichen Ursachen. Die natürlichen Ursachen ergeben sich aus der Natur der Handelsverhältnisse. So übt der Ausfall der Ernte, die Änderung des Wetters Einfluß auf den Preis der Rohproducte, während Krieg od. Kriegesaussichten den Curs der Staats-, u. in zweiter Linie auch den der industriellen Papiere drücken, denn bei schwankenden Zeitverhältnissen nimmt die Furcht vor Verlust zu u. Jeder bemüht sich, Werthpapiere in baares Geld umzusetzen. In Zeiten des Friedens u. der Ruhe, wo die Unternehmungslust zunimmt, wendet sich die Speculation vornehmlich den Unternehmungen zu, welche hohe Dividenden versprechen. Renten, Prioritätsactien u. dgl. Papiere, welche einen ganz bestimmten Werth haben, beginnen zu fallen, weil die Bezetzer, mit den Zinsen nicht zufrieden, die has darin angelegte Capital abwirft, auch zu niedrigen Cursen losschlagen, um besser rentirende Papiere zu kaufen. Der umgekehrte Fall tritt ein, wenn die Hoffnung der Speculanten fehlschlägt u. das Mißtrauen zu einer od. mehreren Actienunternehmungen od. Creditanstalten überhand nimmt. In diesem Falle geht mit dem Sinken der Papiere von ungewissem Werth ein Steigen der festen Werthpapiere Hand in Hand. Zu diesen natürlichen Ursachen gesellen sich die künstlichen, welche von einzelnen od. von einem zu einem Börsenmanöver vereinigten Anzahl Speculanten hervorgerufen werden. Das absichtliche Verbreiten falscher Nachrichten, ein schon im 17. Jahrh. oft benutztes Mittel, um Furcht vor Berlust od. Hoffnung auf Gewinn zu verbreiten, wird jetzt fast in allen Staaten als Betrügerei bestraft, dagegen ist es bisher nicht gelungen, gegen andere Manöver, die auf denselben Zweck hinauslaufen, gesetzlich einzuschreiten, weil die Grenze zwischen Spiel u. Handel sich nicht genau genug abmessen läßt. Große Capitalisten können z.B. dadurch, daß sie ein Papier in großer Menge auf den Markt werfen, den Curs desselben zum Sinken bringen, weil andere Besitzer desselben auf eine durch noch unbekannte Ursachen entstandene Entwerthung des Papieres schließen, u. nun zu noch niedrigeren Cursen verkaufen. Ebenso kann durch künstlich unterhaltene Nachfrage ein Papier über seinen vollen Werth getrieben werden. Beide Manöver werden auch wohl durch Reclamen in Zeitungen od. durch Broschüren unterstützt, um namentlich auf die kleinen Capitalisten, die nicht regelmäßig an der B. verkehren, zu wirken. Hauptsächlich wird diese Manipulation angewandt, wenn ein neues Papier an die B. gebracht werden soll, dessen Curs alsdann, noch ehe es in natura vorhanden ist, schon über pari getrieben wird. Die Rück- u. Vorwärtsb. wegung der Curse geht bei plötzlich eintretenden Schwankungen gewöhnlich nach dem Gesetze der Trägheit weit über den Punkt hinaus, bei welchem sie nach der Größe des etwa möglichen Verlustes od. Gewinnes einhalten müßte. Diejenigen Personen, welche auf das Höhergehen der Curse eines Papieres od. einer Waare rechnen u. darauf hinarbeiten, nennt man Speculantena à la hausse, auch Haussiers, an der Stockbörse in England Ox (Ochse); diejenigen, welche im entgegengesetztem Falle sind, Speculantena à la baisse, Baissiers, Bears (Bären). Bildet sich ein förmlicher Kampf zwischen Haussiers u. Baissiers aus, so nennt man die Partei der ersteren die Mine, die der anderen die Contremine. Die kleinen Capitalisten u. Coulissiers haben selten u. dann nur durch ihre Masse für die Cursbewegung Bedeutung, während diese gewöhnlich das Werk der großen Financiers (Börsenkönige) Bankherien u. Capitalisten ist. Die Maller u. eigentlichen Banquiers pflegen sich an der Börsenspeculation für eigene Rechnung nicht zu betheiligen, ziehen aber von der Speculation anderer sicheren u. oft großen Gewinn. Die kleinen Speculanten u. Spieler fallen in den meisten Fällen den großen Capitalisten zum Opfer, indem ihre Mittel nicht ausreichen, bei einer unvorhergesehenen unglücklichen Conjunctur ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Sie werden leicht zu Zwangsverkäufen genöthigt, um baares Geld zu erhalten, wenn eine Klemme eintritt, u. erleiden stets Verluste, wo der große Capitalist eine vorübergehende Krise geduldig abwarten kann. Der große Capitalist u. Banquier gewinnt namentlich dadurch, daß er Werthpapiere beleiht. Kann der Besitzer dieselben am Verfalltage nicht einlösen, so behält sie der Beleiher zu einem etwas niedrigeren als dem laufenden Curse (s. Prolongationsgeschäft, oben III.). Den Gewinn, den er daran macht, nennt man Report.

V. Die bedeutendsten europäischen Börsen sind gegenwärtig: a) Die Royal exchange zu London, 1838, wo das alte Gebäude abbrannte, im italienischen Style von Tite erbaut, bildet ein unregelmäßiges Viereck, welches den 115 Fuß langen u. 58 Fuß breiten mit bedeckten Säulengängen umgebenen Kaufmannsplatz einschließt. Außerdem[107] gibt es noch zwei besondere Börsen für den Papierhandel, nämlich die Stock exchange für einheimische u. die Foreign exchange für ausländische Werthpapiere; ferner die Kohlenbörse, 1849 von Bunning erbaut, u. eine Kornbörse, 1747 eröffnet, 1827 erweitert. Da London der größte Geld- u. Waarenmarkt der Erde ist, so übt die Notirung an den dortigen B-n einen großen Einfluß auf den europäischen Geld- u. Waarenmarkt. b) Die Pariser B. befindet sich im Palais de la bourse, einem prachtvollen Gebäude, welches 1826 eröffnet wurde. Eine Art Börsengeschäft existirte schon zu Anfang des 14. Jahrh. am Pont au change. Später wurde der Hof des Justizpalais, dann das Hôtel de Soissons, bis 1720, wo die Börsengeschäfte der Regierung verboten wurden, seit 1724, wo der Staat sein Verbot zurücknahm, das Hôtel de Névers (Bibliothèque impériale). in der Folge noch mehrere andere Gebäude zum Börsenverkehr benutzt. Eintritt in die B. haben alle Personen, welche politische Rechte genießen, Bürger sowohl wie Fremde u. zwar gegen ein Eintrittsgeld von 1 Franc. Die B. ist von 1 Uhr bis 5 Uhr Nachmittags geöffnet u. wird um 5 (Uhr von Polizeiagenten geräumt. c) Die Amsterdamer B., 1613 erbaut, bedeutend wegen des Schifffahrts- u. Waarenverkehrs. Geschäfte in Papieren werden größtentheils in der sogen. Effectensocietät, einer Winkelbörse, abgeschlossen. Außerdem existirt eine besondere B. für Getreidehandel. d) Die Berliner B., am Lustgarten, 1802 erbaut, wird durch ein neues Gebäude in nächster Zeit ersetzt werden. Die Börsenzeit ist Mittags. e) Die Hamburger B., am Adolfsplatze, wichtig wegen der Waaren- u. Wechselgeschäfte sowohl in Bezug auf den deutschen wie auch auf den skandinavischen Markt. Das stattliche Gebäude wurde kurz vor dem Brande von 1842 vollendet u. blieb während desselben verschont. In den oberen Räumen desselben befindet sich die Börsenhalle, zur Conversation u. zur Lectüre von Zeitungen, Journalen, mercantilischen Berichten u. auch als Winkelborse dienend. Die Börsenzeit ist von 1 bis 2 Uhr Nachmittags; nach 1 Uhr tritt, sobald das Börsengeläut zu Ende ist, die Börsensperre ein, so daß jeder Späterkommende 4 Schilling Eintrittsgeld bezahlen muß. Die Verwaltung steht unter der Commerzdeputation. – Als börsenähnliche Institute sind noch diejenigen Anstalten zu erwähnen, welche zur Abwickelung von Geldgeschäften dienen. Das großartigste derselben ist das Clearing house in London, wo die Londoner Bankers, um das Incasso der einzelnen auf sie gezogenen Wechsel zu ersparen, dieselben gegenseitig austauschen u. nur die sich für den einen od. den anderen ergebende Differenz mit baarem Gelde od. Banknoten ausgleichen. Einem gleichen Zwecke dient die deutsche Buchhändlerbörse in Leipzig, in welcher zur Ostermesse die Jahresrechnung der Buchhändler unter einander abgewickelt wird. Vergl. Proudhon, Manuel du spéculateur, deutsch, Hannov. 1857.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 3. Altenburg 1857, S. 105-108.
Lizenz:
Faksimiles:
105 | 106 | 107 | 108
Kategorien:

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon