Gauner

[16] Gauner (angeblich vom niederdeutschen Worte Gan, geschwind, flink, gewandt, od. aus Zigeuner verstümmelt), 1) im weitesten Sinne jeder, bes. der vagabundirende Betrüger; 2) im engeren Sinne Menschen, welche die Eigenthumsverbrechen als Gewerbe nach gewissen Regeln, unter dem Schutze einer eignen Sprache (s. Gaunersprache) u. sonstiger, Erkennungszeichen (sogenannten Zinken) u. meist in tief verschlungener, wenn gleich nicht fest organisirter Verbindung treiben. Das Gaunerthum ist offenbar aus dem Bettlerwesen hervorgegangen, hat aber auch ein eigenthümliches Element dadurch in sich aufgenommen, daß Juden u. Zigeuner früher die hauptsächlichsten Bettler- u. Vagantenschaaren bildeten, weshalb auch die den G-n eigenthümlichen Ausdrücke zumeist auf jüdisches Idiom u. die Sprache der. Zigeuner zurückzuführen sind. Die Gebräuche der G. u. die Art u. Weise, wie dieselben bei Ausführung ihrer Verbrechen zu Werke zu gehen pflegen, bilden Stoff für ein ebenso interessantes, als für jeden praktischen Inquirenten u. Polizeibeamten wichtiges Studium. Man kann verschiedene Arten der G. unterscheiden, theils nach der Art, wie sie hauptsächlich ihr verbrecherisches Gewerbe treiben (s.u. Diebstahl IV.), theils nach der Religion u. Nationalität der G. In letzter Beziehung unterscheidet man bes. jüdische u. christliche G., ohne daß indessen diesem Unterschied eine tiefere Bedeutung beigemessen werden kann, da beide Arten sehr oft verbunden sind, u. der G. überhaupt seine Verbindungen in allen Volksschichten sucht. Erkennungszeichen der G., außer den Eigenthümlichkeiten ihrer Sprache, sind Zinken. Die hauptsächlichsten Zinken der G. sind meist Jadzinken (auch Fehm od. Grifflingszinken genannt), Zeichen, welche mit den Fingern gemacht werden u. denen meist das einhändige Alphabet der Taubstummen zu Grunde liegt; doch kommen auch Zinken, welche mit der Stimme (meist Nachahmungen von Thierlauten) od. durch Zeichnungen (oft in das Fleisch tätowirt) gemacht werden, vor. Wichtige Erkennungszeichen bilden auch die Gaunernamen, besondere Spitznamen, welche entweder aus Verstümmlung der ursprünglichen Namen entstehen od. von bes. hervorstechenden Eigenthümlichkeiten der einzelnen Personen etc. herrühren. Selbst im Gefängnisse weiß der echte G. sich bald seinen Mitgefangenen verständlich zu mache, was als Kasspern bezeichnet wird. Das Kasspern geschieht theils durch Pißchen-Pen (Verständigung durch das Schlüsselloch), theils durch Challon-Kasspern (durch das Fenster), theils durch Hakesen (Klopfen an der Wand od. dem Fußboden). Bei der Ausführung des Verbrechens unterscheidet der G. das Baldowern als die vorläufige Erkundung der passendsten Gelegenheit, den Handel als die eigentliche Verübung (beim Diebstahl auch Massematten genannt, welches Wort zugleich auch das Diebstahlsobject selbst bezeichnet), u. die Kawure, das Verstecken u. Verbergen des gestohlenen Gutes. Der Ort, wohin die Beute geborgen wird, heißt der Jetippel, die Theilung Cheluke, der Ankäufer u. Vertreiber der gestohlenen Waare Schärfen- od. Stossenspieler. Verrath wurde am Verräther (Slichener) sonst oft mit Ermordung, später mit einem tiefen Einschnitt in die Wange (Slichenerzeichen) bestraft Vgl.: Beutelschneider, od. Newe warhaffte vnd eygentliche Beschreibung der Diebs-Historien, Frkft. 1641, 3 Thle.; Schauplatz der Betrüger, Hamb. u. Frkft. 1687; A. Smith, Leben der berühmtesten Straßenräuber, Mörder u. Spitzbuben, Frkft u. Lpz. 1720; Neueröffneter Schauplatz der berüchtigtster Betrieger, Spitzbuben etc., Hamb. 1725; G. P. Höne, Betrugslexikon, Koburg 1720 u. nochmals 1724 u. 1761; Veron. Francken von Steigerwald, Res Furriferorum, Diebshändel etc., Augsb. 1728; Entdeckter Jüdischer Baldower, Kob. 1737; Bierbrauer, Beschreibung der berüchtigtsten Jüdischen Diebes-, Mörder- u. Räuberbanden, Kassel 1758; Schwencken, Notizen über die berüchtigtsten jüdischen Gauner, Marb. u. Kassel 1820; Actenmäßige Nachrichten von dem Gauner- u. Vagabondengesindel zwischen dem Rhein u. der Elbe, Kassel 1822; Falkenberg, Versuch einer Darstellung der verschiedenen Klassen von Räubern, Dieben u. Diebshehlern, Berl. 1816–18, 2 Thle.; Eberhardt, Polizeiliche Nachrichten von Gaunern, Dieben u. Landstreichern, Kob. 1828, 3 Thle.; vorzüglich Thiele, Die jüdischen Gauner in Deutschland, Berl. 1840. 2. A. 1842, 2 Bde., u. F. C. B. Ave-Lallemant, Das deutsche Gaunerthum, Lpz. 1858, 2. Thle.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 16.
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