Geißler [1]

[80] Geißler, 1) Alle, welche durch Geißelung ihren Leib abtödten u. Buße thun; 2) Eremiten, namentlich die Congregation des Peter Damiani zu Fonte Avellana, welche aus Geißelungen die Hauptsache ihres Berufes machten; 3) (Geißelbrüder, Kreuzbrüder, Kreuzträger, Flagellanten), eine christliche Secte vom 13.–15. Jahrh., welche in großen Schaaren öffentlich Geißelungen an sich selbst vornahmen. Die Veranlassung dazu lag im 13. Jahrh. theils in den Kriegen zwischen den Ghibellinen u. Guelfen, deren Beseitigung man durch eine außerordentliche Bußübung zu bewirken hoffte, theils in dem Eifer der Mönche u. Geistlichen, welche im Beichtstuhl die Selbstgeißelung als Mittel zur Versöhnung mit Gott empfahlen. Die ersten Züge der G. gingen 1260 von Perugia in Italien aus u. verbreiteten sich allmälig über ganz Italien. Leute jedes Alter u. Standes zogen, fast ganz entblößt, durch die Straßen der Städte je zwei u. zwei in Procession, peitschten sich mit Geißeln von Riemen, unter Seufzen, Gesängen u. Anrufen Gottes u. der Mutter Maria, über die Schultern bis auf das Blut, traten mit Wachslichtern selbst in rauher Jahreszeit in die Kirchen u. gingen von einem Ort zum andern, selbst bis nach Frankreich. Die päpstliche Macht legte ihnen keine Hindernisse in den Weg, weil die damaligen G. der guelfischen Partei angehörten, u. weil durch Almosenspenden, Aussöhnung mit Feinden etc. eine Frucht der Buße hervortrat. Dagegen erklärte sich die geistliche u. weltliche Macht gegen die große Geißlerfahrt, welche 1261 die österreichischen Länder bis nach Polen u. Ungarn hinein heimsuchte, u. wobei sich die Theil nehmer zum Andenken an Jesu Lebensjahre auf der Welt 33 Tage geißelten, weil darin eine Auflehnung gegen die Kirchenordnung gefunden wurde. Viel bedeutender waren die Züge der G. im 14. Jahrh. schon seit 1309, bes. aber seit 1349, als die Pest 5 Jahre lang Europa verwüstet hatte. Damals zogen oft Rotten von 80 Personen, mit knotigen Peitschen versehen, umher, absolvirten einander von den Sünden u. predigten In Speier wurden sie auf öffentliche Kosten bewirthet u. von Aachen mußte wegen der großen Zahl der G. die Krönung Karls IV. nach Bonn verlegt werden. In öftere Conflicte geriethen sie mit den Juden, welche man als Ursache der Pest ansah, u. wirkten bei deren Verbrennung mit. Allmälig bildete sich ein bestimmter Organismus, jeder Gemußte beichten, den Feinden verzeihen, die eheweibliche Zustimmung zum Mitzug beibringen u. Reisegeld aufweisen. In der Nähe der Ortschaften ordneten sich die Züge zu Processionen, die G. zogen unter dem Gesang: Kyrie Eleison (daher Leise) vor die Kirche, dann erfolgte die Beköstigung u. hierauf gewöhnlich auf dem Kirchhofe od. einer Wiese die Geißelung, weshalb an vielen Orten der Name Geißelanger noch jetzt vorkommt. Den Tag darauf mußten sie spätestens abziehen. Schaaren von Menschen wohnten mit Andacht der Geißelung bei. Allmälig aber sanken die G. in der Gunst. Papst Clemens erklärte sich in einer Bulle an die Bischöfe 1349 gegen dieses Treiben u. Gregor XI. bezeichnete sie 1372 als Ketzer, weil sie die kirchlichen Sacramente leugneten. Von der Zeit an waren sie mancherlei Verfolgungen ausgesetzt u. bei ihrem Auftreten in Thüringen 1414 wurden mehrere verbrannt. Auch die Geißelfahrten in Italien, Frankreich u. Spanien gegen Ende des 14. Jahrh., an denen der Dominicaner Vincentius Ferreo Antheil gehabt haben soll, hatten keine lange Dauer. Vgl. J. Boileau, Hist. [80] flagellantium, Par. 1700; Schöttgen, De feota flagellantium, Lpz. 1711; Förstemann, Die christlichen Geißlergesellschaften, Halle 1828; Hecker, Der schwarze. Tod, 1832; Schneegans, Le grand pélerinage des flagellants a Strasbourg en 1340, Strasb. 1837 (deutsch von Tischendorf, Lpz. 1840).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 7. Altenburg 1859, S. 80-81.
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