Pest

[889] Pest, 1) (Pestis, Orientalische P., Levantische P.), eine in hohem Grade tödtliche, epidemische, fieberhafte Krankheit, welche sich meist von Asien u. Afrika, bes. von Ägypten aus, nach Europa verbreitete, jetzt aber fast einzig in der Türkei, Syrien u. Ägypten vorkommt. Sie verhält sich im Allgemeinen wie ein typhöses Fieber, mit vorwaltender Hinneigung zum fauligen Charakter. Eigenthümlich sind ihr insbesondere die sogenannten Pestbeulen (Bubonen), entzündliche Anschwellungen, am meisten der Leisten-, dann auch der Achsel-, Ohren- (Parotiden, s.d.) u. Halsdrüsen, welche meist in Eiterung od. brandige Geschwüre übergehen; ferner Brandbeulen (s. Anthrax u. Karfunkel), so wie auch Petechien u. Ecchymosen (s.d.a.). Die Dauer derselben beträgt im Allgemeinen 7–9 Tage, bisweilen erfolgt aber auch schon nach einigen Stunden, manchmal selbst plötzlich der Tod. Die Symptome sind verschieden. Die gewöhnlichsten Kennzeichen sind: erstes Stadium: große, schnell in die höchste Entkräftung übergehende Mattigkeit, Niedergeschlagenheit, Schmerzen längs der Wirbelsäule, bald gelinder, bald starker Frost u. darauf folgende Hitze, Eingenommenheit u. Schwere des Kopfes, fast immer heftiger Kopfschmerz, Betäubung, so wie wild glänzende Augen, auffallend verändertes bleifarbiges Gesicht, große Angst, Unruhe, heftiger Durst, Delirien, dunkelrothe od. weiß belegte Zunge, undeutliche Sprache, Schmerzen an den Stellen, wo Brand- od. Pestbeulen entstehen. Zweites Stadium: lebhaft rothes Gesicht, schnelles u. ängstliches Athemholen, Zittern od. Zucken in den Gliedern, große Entstellung der Gesichtszüge, zuweilen gelbliches, grünes od. schwarzes, selbst mit Blut gemischtes Erbrechen, ähnlicher Durchfall, trüber, schwarzer od. weißlicher, blutiger Harn, auch Blutflüsse, Ohnmachten u. Convulsionen, Petechien u. Ecchymosen, schmerzhafte Beulen an den bezeichneten Orten. Letztere erscheinen entweder am ersten bis vierten Tage, od. erst in der Reconvalescenz, od. bilden wohl selbst den Anfang der Krankheit. Der Ausbruch der Bubonen ist unter dem Eintritt einer guten Eiterung eher von günstigem Einflusse auf den Ausgang der Krankheit, als ihr Nichterscheinen, od. ihr Zurückgehen. Die Karfunkeln verkünden meistentheils den Tod. Die P. ist im Allgemeinen in ihrer vollen Ausbildung höchst ansteckend u. ihr, selbst nach Jahren noch zu wirken fähiger Ansteckungsstoff pflanzt sich mehr durch unmittelbare Übertragung, als durch die Luft fort Kleidungsstücke, baumwollene u. wollene Stoffe etc. dienen dabei als vorzügliche Träger. Die von Bulard u. auch schon früher von anderen Ärzten auf Impfung des eigenen Körpers, od. auf andere Arten der Übertragung des Ansteckungsstoffes gestützten Versuche, welche der Annahme der Contagiosität derselben entgegengestellt wurden, insofern sie keine Mittheilung des Übels zur Folge hatten, haben die Beweise für die Entstehung u. Verbreitung durch Ansteckung nicht entkräften können, lassen aber auch der Vermuthung Raum, daß, neben der Ansteckung auch noch andere Momente der Entstehung u. Fortpflanzung der Krankheit, wiewohl in weit untergeordneter Weise, stattfinden mögen. Elend u. Drangsale aller Art, Hungersnoth u. schlechte Nahrung, Überschwemmungen, Zusammensein vieler Menschen in naher Berührung, Unreinlichkeit, große Hitze der Atmosphäre, vorzüglich bei zugleich feuchter Beschaffenheit u. kalten Nächten, gehen als äußere bedingende Momente ihr gewöhnlich voraus.

Schon in der Bibel kommt die P. (hebr. Deber) als eine in Ägypten, bes. im Delta, endemische u. in Palästina epidemische Krankheit vor, deren charakteristischen Symptome die Bubonen in den unter den Schenkelbugen, Achseln, Kniekehlen u. am Halse liegenden Lymphdrüsen, bes. auf der linken Seite, waren. Auch die ältesten griechischen Dichter, so Homer, sprechen von einer Seuche (Loimos), welche wohl die P. war; Apollo (s.d.) sendete dieselbe. Die Beschreibung der im dritten Jahre des Peloponnesischen Krieges in Athen wüthenden P. hat Thukydides gegeben. 72 n. Chr. herrschte die P. im belagerten Jerusalem, in Rom aber 77 unter Vespasian u. 170 n. Chr. unter Antoninus Pius, wo sie fast ganz Europa u. Asien durchzog, 189 unter Commodus u. 262 unter Gallienus, wo in Rom oft an einem Tage 5000 Menschen starben. Eine 541 n. Chr. von Äthiopien nach Palästina u. von da nach Europa sich verbreitende P. raffte an den meisten Orten die Hälfte Menschen u. mehr weg (in Constantinopel starben auf ihrer Höhe im Jahr 544 täglich 5000–10,000). Dieselbe Krankheit wüthete 50 Jahre lang weit verbreitet mehr od. minder heftig u. herrschte 565 in Trier u. 588 in Marseille. Ob die ansteckenden, als P. bezeichneten Krankheiten, welche im 7. Jahrh. in Sachsen, 823 u. 875–77 in ganz Deutschland wütheten u. dasselbe im 11. u. im 12. Jahrh. verheerten, die P. gewesen sei, ist zweifelhaft;[889] im 13. Jahrh. brachten sie aber die Kreuzzüge aus dem Orient nach Europa. Noch fürchterlicher u. verbreiteter wüthete im 14. Jahrh. die als Schwarzer Tod (s.d.) bekannte P. in Europa. Später zeigte sich die nun seit dem 6. Jahrh. als Orientalische P. häufig in einzelnen Ländern, so 1419 in Sachsen, 1420 in Augsburg, 1429 in Leipzig, 1450 in Dresden, 1451 in Köln u. Mecklenburg, bes. in Rostock, 1463 in Thüringen, 1472 in Sachsen u. den Niederlanden; sehr verbreitet ferner 1504 in Sachsen, 1533 in Nürnberg, 1535 in Augsburg, 1540 in Dresden, 1541 in Wien, 1547 in Ulm u. Lübeck, 1557 in Delft, 1573 in Harlem, 1598 in Freiburg; 1635 u. 1639 in Nimwegen, 1665 u. 1666 in London u. im übrigen Europa fast noch alle Jahre; in Sachsen kam sie 1680 das letzte Mal vor. Um diese Zeit kam man nämlich zu der Überzeugung, daß die P. durch Berührung, Kleidungsstücke, Wolle u. dergl. leicht verbreitet werden könne, u. führte daher allenthalben Quarantainen (s.d.) ein. Anfangs wurden diese nicht genau genug gehandhabt, u. die P. schlich sich 1711 u. 1712 in Ungarn, 1715 in Wien u. 1720 durch ein aus der Levante kommendes Schiff in Marseille u. in die Provence ein. Seitdem hinderte die bessere Anordnung der Quarantaineanstalten die Verschleppung des Pestcontagiums immer mehr u. mehr. Nur selten erstreckte sie sich über die gewöhnliche Grenze; so kam sie 1771 nach Moskau, 1795 u. 1796 in die Grenzländer der Türkei gegen Österreich, in denen sie sich bis auf die neueste Zeit mehrmals erhoben hat, u. 1816 nach Noja im Neapolitanischen. Die consequente u. strenge Durchführung des Quarantaineprincips scheint demnach der P. in Europa für immer Einhalt gethan zu haben, obgleich neuerdings durch Mehre die Ansicht aufgestellt worden ist, daß nicht die Quarantaineanstalten, sondern das reinlichere Leben, bes. das Tragen linnener Hemden statt wollener, die P. gebannt halte.

Die Menge der Kranken u. die Gefahr des Übels nöthigte schon frühzeitig zur Errichtung besonderer Krankenhäuser für Pestkranke (Pesthäuser), denen selbst eigene Ärzte (Pestärzte) vorstanden. Die Heilung der P. war von jeher eine schwierige Aufgabe der Heilkunst, welche vorzüglich durch Beachtung der Natur des Fiebers, nicht einstürmendes Verfahren u. Beförderung der Vereiterung der Bubonen gelöst werden muß. Ein untrügliches Schutzmittel dagegen gibt es noch nicht. Am meisten Ansehen haben sich als solches Öleinreibungen erworben. Das Chlor zerstört den Ansteckungsstoff ziemlich sicher u. große Hitzegrade (50–60° R.) sollen dies noch mehr vermögen. Die Krankheit kann übrigens ein Individuum, welches sie schon gehabt hat, auch zum zweiten Mal befallen. Vgl. Enrico di Wolmar, Über die P. des Orients, Berl. 1827; Lorinser, Die P. des Orients, ebd. 1837; de Meru, De la peste orientale, Par. 1838; Aubert, De la peste d'Orient, ebd. 1840; Clot Bei, De la peste, ebd. 1840; Frari, Della peste, Ven. 1840; Pruner, Die Krankheiten des Orients, Erl. 1847. 2) Überhaupt eine durch ungewöhnliches Erscheinen, Verbreitung, schnellen Verlauf u. häufige, über die Hälfte dahin raffende Tödtlichkeit ausgezeichnete Krankheit. Fast alle epidemische Fieberkrankheiten, mit dem Charakter, den man jetzt als Typhus bezeichnet, woran viele Menschen starben, galten in früherer Zeit für P. (vgl. Kriegspest); so unter anderen auch der Englische Schweiß, eben so die Luftseuche in ihrem ersten Ausbruch zu Ende des 15. Jahrh. Das Gelbe Fieber ist ebenfalls, u. zwar zum Unterschied von der eigentlichen P., als Occidentalische P. bezeichnet worden, auch die Asiatische Cholera; 3) Viehseuchen, an denen viele Thiere sterben, s. Rinderpest.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 12. Altenburg 1861, S. 889-890.
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