Medicinalwesen

[64] Medicinalwesen, Inbegriff aller Einrichtungen, welche auf die polizeiliche Fürsorge für das Gesundheitswohl der Staatsbürger u. überhaupt auf die Benutzung medicinischer Erfahrungen u. daraus gewonnener Resultate zum Vortheil des Staats Bezug haben. Die Grundlage desselben sind erlassene Medicinalgesetze, od. Anordnungen u. Anstalten, nach welchen sowohl dafür gesorgt ist, daß Alles, was dem gemeinen Gesundheitswohl förderlich ist, auch wirklich dargeboten, u. was demselben nachtheilig ist, möglichst abgehalten u. entfernt werde. Erst in der römischen Staatsverfassung enthielt die Einrichtung der Archiatri (s.d.) eine Spur davon; später legten Roger I. von Sicilien u. vorzüglich Kaiser Friedrich II. dazu den Grund. Dadurch, daß die auf das M. abzweckenden Verfügungen unter sich in Zusammenhang gebracht werden u. einander unterstützen, bildet sich in einem Staate eine Medicinalordnung od. Medicinalverfassung, welche unter fortgehende Aufsicht dazu ernannter Behörden gestellt werden muß. Nach Verschiedenheit der Größe u. der besondern Einrichtung eines Staats geht die Medicinalaufsicht entweder von eigenen Medicinalcollegien od. auch polizeilichen Behörden aus, welche in Medicinalangelegenheiten eigene, als Medicinalrath, Medicinalcommission, Medicinalcomité, Collegium medicum, Collegium sanitatis etc. aus Medicinalpersonen constituirte Behörden mit ihrem Gutachten vernehmen, od. auch eigene von denselben ausgehende, auf das allgemeine Gesundheitswohl Bezug habende Anträge beachten u. zur Ausführung bringen. Die Medicinalaufsicht durch Medicinalbeamte in weitern u. engern Kreisen umfaßt nicht nur Gegenstände, welche die Gesundheit im Allgemeinen stören od. bedrohen, sondern sorgt auch bes. dafür, daß die im Staat zur Ausübung der Heilkunst in ihren verschiedenen Zweigen autorisirten Individuen als Medicinalpersonen ihren Pflichten getreu bleiben, unter welcher Bedingung sie diese selbst in ihrem Wirkungskreis, soweit der Bereich der Staatsgewalt geht, gegen Beeinträchtigung sichert. Folgende Gegenstände sind als die vornehmsten u. nächsten der allgemeinen Medicinalaufsicht zu erachten: Reinlichkeit der Luft u. gesunde Beschaffenheit der Wohnungen; gesunde Speisen u. Getränke, gehörige Beschaffenheit der zu Bereitung u. Aufbewahrung von Speisen u. Getränken dienenden Gefäße, auch sonstiger Gegenstände, welcher sich die Menschen im gewöhnlichen Leben bedienen; Kleidungsstücken u. Moden, in wie fern auch sie günstig od. nachtheilig auf die Gesundheit wirken; öffentliche Vergnügungen in gleicher Hinsicht. Eine specielle Berücksichtigung erheischen Krankheiten, um sie möglichst abzuhalten u., wenn sie eingetreten sind, auf geeignetem Wege Heilung zu vermitteln. Dieser letzte Theil der Medicinalaufsicht ist insbesondere als Medicinalpflege in einen strengen Begriff gebracht. Es ist also von dem Staat dafür zu sorgen, daß der Krankenbehandlung als Ärzte u. Wundärzte sich widmende u. dazu mitwirkende Individuen in eigenen Anstalten dafür einen entsprechenden Unterricht u. Anleitung zu ihrem Geschäft erhalten; daß denselben, nach strenger Prüfung ihrer Geeigenheit dafür, ein bestimmter geschäftlicher Wirkungskreis angewiesen werde; daß die unbemittelte Volksklasse in öffentlichen Krankenhäusern od. Krankenanstalten ebenfalls der Medicinalpflege theilhaftig werde; daß die Unwissenheit u. Leichtgläubigkeit des Volks in Angelegenheiten, die auf ihr Gesundheitswohl Bezug haben, nicht von, zur Ausübung der Heilkunst Unbefugten betrügerisch gemißbraucht werden; daß durch gut eingerichtete Apotheken u. sonst der Bedarf zu Krankheitsheilungen nirgends ermangele u. der Verkehr mit Medicamenten aller Art in erforderlichem Maße beschränkt werde etc. Da die richtige Würdigung u. Behandlung von Krankheitsschäden, denen auch nutzbare Hausthiere unterworfen sind, ebenfalls gründliche medicinische Studien voraussetzt, so wird auch die öffentliche Fürsorge für diesen Theil der Land- u. Hauswirthschaft mit in den Geschäftskreis von Medicinalbeamten gezogen, u. es sind daher auch Thierärzte unter die Medicinalaufsicht gestellt. Auch gehört die Bestimmung derjenigen Verhältnisse, in denen ärztliche Individuen als Kunstverständige zu richterlichen Behörden stehen, um ihnen für Rechtsentscheidung aus medicinischen Grundsätzen, nach eigener genauer Untersuchung vorliegender Fälle, nöthige Auskunft zu ertheilen, zu einem geordneten M. Vgl. Wildberg, System der medicinischen Gesetzgebung, 2. Aufl. Berl. 1820; G. von Ehrhardt, Entwurf eines physikalisch-medicinischen Polizeigesetzbuchs, Augsb. 1821, 4 Bde., 2. Ausg. ebd. 1837 f. 4 Bde.; A. Ch. H. Henke, Zeitschrift für die Staatsarzneikunde, Erl. 1821 ff.

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 11. Altenburg 1860, S. 64.
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