Zwang

[756] Zwang, 1) der Zustand, in welchem ein Theil des Körpers heftig zusammengezogen wird, vgl. Harn-, Huf-, Stuhlzwang; 2) das ängstliche Streben sich nach angenommenen od. eingeführten Regeln zu richten, welches sich bes. in dem gesellschaftlichen Umgang u. bei Verfertigung von Kunstwerken unangenehm äußert; 3) (lat. Coactio), die durch äußere Gewalt herbeigeführte Nöthigung zu einem, der eigenen Neigung zuwiderlaufenden Thun od. Leiden; 4) in rechtlicher Beziehung eine unrechtmäßige Gewalt (Vis injusta), sei es, daß sie in der Zufügung od. Androhung von Übeln, um jemand durch die in ihm erregte Furcht zu etwas zu nöthigen, bestehe (psychologischer Z.), od. daß sie durch äußere Gewalt bewirkt werde (physiologischer Z.). Durch diese Gewalt wird die erzwungene Handlung zwar nicht gerade juristisch nichtig, allein sie kann durch verschiedene [756] Rechtsmittel, z.B. durch In integrum restitutio (s.d.) angefochten u. auf diese Weise der daraus entstehende Nachtheil abgewendet werden, u. dies nicht blos gegenüber dem Zwingenden selbst, sondern auch gegen einen Dritten, welcher aus der durch Z. herbeigeführten Handlung für sich Rechte ableitet. Doch setzt diese Wirkung immer einen bedeutenden Z. voraus. Bei letztwilligen Dispositionen tritt außer der Rescissibilität der auf dem Z. beruhenden Disposition, zugleich für den Zwingenden selbst die Strafe der Indignität, d.h. die Unfähigkeit aus der letztwilligen Disposition etwas zu erhalten, ein. Wird Jemand durch einen Andern zu einem Verbrechen gezwungen, so fällt die Strafe nicht auf den Gezwungenen, sondern auf den Zwingenden, insofern nur die angewendete Gewalt eine solche war, daß sie den Gezwungenen der freien Willkür völlig beraubte (s. Zurechnung). Der Obrigkeit kommt dagegen der Z. unter den gesetzlichen Voraussetzungen als ein Recht zu, dessen sie gar nicht entrathen kann, um ihre Autorität aufrecht zu erhalten. So beruht im Ganzen jede Strafe, jedes Executionsmittel, welches der Richter anwendet, auf einem Z. Wenn aber hiernach der Obrigkeit auch im Allgemeinen das Zwangsrecht nicht zu bestreiten ist, so darf sie doch den Z. nicht nach Willkür, sondern nur mit den Formen u. mit den Mitteln anwenden, welche die Gesetze dafür vorschreiben. Ein Richter, welcher daher, obwohl sonst der Fall dazu angethan ist Z. auszuüben, den Widerspenstigen z.B. statt, wie die Gesetze vorschreiben, ihn in das Gefängniß zu setzen, etwa prügeln lassen wollte, würde sich immer schwerer Verantwortung aussetzen, indem die Anwendung des Z-es solchenfalls ihm als das Verbrechen des Amtsmißbrauches (s.u. Amtsverbrechen) anzurechnen wäre. Welche Mittel der Obrigkeit als erlaubte Zwangsmittel zu Gebote stehen, hängt von der Vorfrage ab, zu welchem Zwecke der Z. angewendet werden soll u. unter welchen Umständen die Obrigkeit zur Anwendung des Z-es schreitet. Die fortschreitende Cultur eines Volkes führt in der Regel dazu, daß mit der Zeit eine Menge von Zwangsmitteln auch selbst in den Händen der Obrigkeit als unerlaubt angesehen werden, welche man früher als erlaubte zu betrachten gewohnt war. Beispiele dafür bieten z.B. die früher allgemein übliche Folter zum Zwecke der Erpressung von Geständnissen der Inculpaten, die gegen früher jetzt sehr eingeschränkten od. wohl ganz aufgehobenen Arten körperlicher Züchtigung etc.; ferner die jetzt allgemein außer Gebrauch gekommene Zwangsehe, Zwangstrauung od. Zwangscopulation, wonach Verlobte, wenn später der eine Theil sich weigerte das Verlöbniß zu vollziehen, auf Antrag des andern Theils selbst mit Gewalt zur Vollziehung der Ehe mittelst Trauung gezwungen werden konnten od., falls dies sich nicht ausführen ließ, durch richterlichen Ausspruch für getraut erklärt wurden. Das neuere Recht läßt anstatt dessen nur den Anspruch auf Leistung einer entsprechenden Entschädigung mit der Befugniß des Richters zu, wenn etwa der verlobte weibliche Theil schon von dem sich der Vollziehung der Ehe weigernden Theil geschwängert worden sein sollte, der Ersteren zugleich die Rechte einer als unschuldiger Theil geschiedenen Frau, dem erzeugten Kinde aber die Rechte eines durch nachfolgende Ehe legitimirten Kindes beizulegen. Über Landzwang s.d.; 5) so v.w. Bannrecht; 6) (Zwängen) eine Art Hirschfährte, s.d. c).

Quelle:
Pierer's Universal-Lexikon, Band 19. Altenburg 1865, S. 756-757.
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