Delirium

[523] Delirium, d.h. Irrereden, Irresein, auch Phantasiren, bezeichnet einen meist im Verlaufe hitziger, nur selten gegen Ausgang langwieriger, tödtlichverlaufender Krankheiten eintretenden Zustand, in welchem der Mensch das Bewußtsein, das regelmäßige Erkenntnißvermögen und die Fähigkeit willkürlicher Bewegung mehr oder weniger verliert und sich daher in verhältnißmäßigem Widerspruche mit seiner Umgebung geberdet. Dieser Zustand kann natürlicherweise nur da eintreten, wo die geistigen Fähigkeiten schon bis zu einem gewissen Grade sich entwickelt haben; deshalb können Kinder, deren Gehirn noch keine Idee aufzufassen vermag und wenn sie noch nicht sprechen, eigentlich nicht deliriren oder irrereden. Befällt sie eine Krankheit, die bei Ältern Delirium herbeiführen würde, so schreien sie oder verfallen in Schlafsucht. Das Delirium unterscheidet sich wesentlich von den verschiedenen Seelenstörungen eigentlicher Geisteskranker, indem es ein meist schnell vorübergehender und immer von körperlichem Kranksein abhängiger Zustand ist, während Geisteskranke, abgesehen von ihrem Wahnsinn, völlig Gesunden gleichen können. In der Regel liegt dem Delirium Reizung oder Entzündung des Gehirns und seiner Häute zum Grunde; aber auch heftige Reizung oder Entzündung anderer Organe des Körpers, sowie allgemeine Lebensschwäche vermögen durch ihren Einfluß auf das Gehirn Delirium herbeizuführen, so z.B. eine sehr ausgebreitete Rose, zusammenfließende Blattern, Entzündung des Darmkanals in Folge von Einwirkung heftiger Gifte auf denselben, Lungenentzündung, Schwindsucht, sobald sie ihrem Ausgange in den Tod sich nähert u.s.w. Bekannt ist ferner, daß bei den meisten fieberhaften Krankheiten, wenn sie einen gewissen Grad von Heftigkeit erreichen, Delirium eintritt, was am gewöhnlichsten Abends oder in der Nacht erfolgt. Die Erscheinungen des Deliriums weichen aber sowol hinsichtlich ihrer Art als ihres Grades unendlich voneinander ab. Manchmal sind sich die Kranken ihres Zustandes einigermaßen bewußt, sprechen sich darüber aus, antworten richtig auf vorgelegte Fragen, sind wol auch ihrer Sinne mächtig genug, äußerliche Gegenstände wahrzunehmen, empfinden Kälte und Durst und zeigen nur eine gewisse Unruhe des Geistes, große Gedächtnißschwäche, sodaß sie sich nach einigen Augenblicken kaum dessen erinnern, was sie eben gesagt oder gethan haben und leicht den Faden ihrer Gedanken verlieren. Andere sehen allerhand Bilder, fahren schreckhaft auf, schreien, wüthen, toben, haben das Bewußtsein gänzlich verloren, sind selbst für alle Erregungsmittel der Sinne unempfindlich und zuweilen gesellen sich noch große Schwäche, Krämpfe, Lähmungen u.s.w. hinzu. Nach Wiedererlangung ihrer Vernunft fühlen sich die Kranken erschöpft, beklagen sich über Kopf- und Gliederschmerzen, trinken mehr als zuvor und sind gegen Geräusch und Licht außerordentlich empfindlich, haben aber von Dem, was sie während des Anfalls vorgenommen, meist keine Erinnerung. Wenn Delirium in langsam verlaufenden, abzehrenden Krankheiten sich einstellt, ist es meist ein Zeichen des baldigen Todes; das leichte Phantasiren dagegen, sowie das Delirium mit Bewußtsein haben nicht viel auf sich. Am leichtesten und häufigsten entwickeln sich Delirien bei Personen von nervöser Constitution, bei Frauen und Kindern über 8–10 Jahren, sind aber bei diesen auch weniger bedenklich. Zuweilen verschwindet das Delirium schnell nach Eintritt von Nasenbluten, kritischen Schweißen oder Stuhlausleerungen, nach dem Erscheinen von Blutschwären, Eiterablagerungen u.s.w., außerdem aber erfodert es eine den sonstigen Krankheitsumständen angemessene Behandlung.

Quelle:
Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, Band 1. Leipzig 1837., S. 523.
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